Warum schreiben?

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26. November 2020 von ibohnet

Warum schreiben, wenn selbst Thomas Mann zu der Anschauung gelangte, »dass ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt, als allen anderen Leuten.«

Mein Name ist Ilja Bohnet, ich bin Physiker, Krimiautor und Sachbuchautor, habe vier Kinder und lebe und arbeite in Berlin. Tatsächlich bin ich auch geboren in dieser Stadt, wenngleich ich nicht immer hier gelebt habe, und zwar in West-Berlin noch zu Zeiten des Kalten Krieges und mitten hinein in einen Theaterhaushalt. Meine Mutter Ann-Monika ist Schauspielerin und meine beiden Väter – der leibliche wie auch mein Stiefvater – waren ebenfalls Schauspieler, überdies verhältnismäßig bekannte: Folker Bohnet und Ulrich Pleitgen (zu ihnen kam ich bereits in verschiedenen anderen Blog-Beiträgen, siehe hier oder hier). Und vielleicht war diese Anballung an künstlerischen Vorbildern und der intime Einblick hinter die Kulissen des Künstlerlebens auch Grund dafür, zunächst in eine ganz andere Richtung marschieren zu wollen: An der Universität Hamburg habe ich nämlich Physik studiert, und wurde später mit einer Forschungsarbeit in der Teilchenphysik am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg promoviert, bin also erstmal das geworden, was man gemeinhin als ›Forscher‹ bezeichnet, um später ins Wissenschaftsmanagement zu wechseln, erst am DESY, dann in der Geschäftsstelle der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren, dem auch DESY angehört, mit Sitz in Berlin.

Doch eine Künstlerseele lebt irgendwie, ach, auch in meiner Brust, und schon als Student habe ich angefangen zu schreiben. Mit dem in Koproduktion mit meiner Mutter entstandenen Kriminalroman ›Freitags isst man Fisch‹, erschienen bei ariadne im Argument-Verlag, der 2010 für den Friedrich-Glauser-Preis in der Kategorie „Debüt“ nominiert wurde, begann ich schließlich diese belletristische Arbeit zu professionalisieren. Und seitdem schreibe und veröffentliche ich auch mehr oder weniger regelmäßig. Zuletzt ist im Herbst 2020 mein erstes populärwissenschaftliches Physik-Buch im KOSMOS Verlag erschienen: ›Die 42 größten Rätsel der Physik‹ – taufrisch im Buchladen.

Aber was ist die Motivation zu schreiben? Weshalb plagt man sich damit, wenn selbst Thomas Mann zu der Anschauung gelangte, »dass ein Schriftsteller ein Mann ist, dem das Schreiben schwerer fällt, als allen anderen Leuten.« Weshalb also? Klar, man hat eine Geschichte und will sie erzählen. Aber mich treibt irgendwie noch mehr als das. Es gibt ein wunderbares Zitat von dem Autor Jean-Marie Gustave Le Clézio, das die Motivation des Schreibens zumindest in politischer Hinsicht auf den Punkt bringt. Clézio nennt zwei Gründe, warum er schreibt: Erstens seine Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen. Und zweitens die Tatsache, dass er selbst nicht aktiv dagegen ankämpft. Das ist ein klares politisches Statement. Ein anderer Franzose, der Kriminalautor Jean-Patrick Manchette, hat mal gesagt: »Ein guter ›Roman noir‹ ist ein Sozialroman, ein sozialkritischer Roman, der die Geschichte eines Verbrechens als vordergründige Handlung nimmt.« Auch hier spricht eine politische Motivation. Etwas anders sieht es vielleicht ein anderer Großer der Belletristik, der Autor Graham Greene. Dessen zentrales, immer wiederkehrendes Thema ist offenbar das menschliche Befinden vor dem Hintergrund der Schuld, des Glaubens beziehungsweise des Unglaubens und des Verrats, eingebettet in Spionage- und Kriminalromane. Das durchzieht sein gesamtes Oeuvre. Die Vergeblichkeit des menschlichen Strebens nach Verbesserung der Welt – quasi. Die Vertreter der staatlichen Autoritäten sind korrupt, psychopathisch, intrigant. Die Protagonisten, die Helden seiner Bücher sind … es ebenso. Die Welt ist also schlecht. Ein wunderbares Motiv. Und es hat etwas ungemein Beruhigendes, dass alle schlecht sind.

Wie angesprochen habe ich vier Kinder, und deshalb komme ich regelmäßig in den Genuss des Vorlesens von Kinderbüchern. Und gute Kinderbuchliteratur ist großartig. Unter anderem, weil gute Kinderbücher ganz minimalistisch sind und dabei eine Grundmotivation des Schreibens auf den Punkt bringen, finde ich. Guten Kinderbüchern, wie bei Autoren wie Astrid Lindgren, Ottfried Preußler oder Paul Maar ist eines gemeinsam – das anarchische Element in ihren Büchern: das trotzige Hinwegsetzen der Kinderhelden über gesetzte moralische Strukturen, das nicht Nicht-Anerkennen vermeintlicher Autoritäten, das Lachen über die Oberen – Grundlage für Humor, und das verstehen die Kinder… Und schließlich das Schieflaufen im Leben, das Stolpern durch den Lebensalltag, das Loriot‘sche Missverstehen in der Komödie. Von dem britischen Schriftsteller Thomas Hardy gibt es dazu einen passenden Kommentar: »Jede Komödie ist eine Tragödie, wenn man nur tief genug in sie hineinschaut.« Das mag stimmen, deshalb ist vielleicht jede Komödie irgendwie auch eine Tragikomödie, tragisch, weil sie eben auch Drama enthält, was nicht schlimm ist, denn das Komische in der Tragik verheißt augenzwinkernd einen Ausblick – die Hoffnung nämlich, dass am Ende doch alles gut wird …

Es gibt ein wunderbares Zitat von Ernest Hemingway, in dem er das Eisberg-Modell beim Schreiben erläutert, nämlich, dass man als Autor einer Geschichte alles wissen, aber nicht alles beschreiben muss. »Wenn ein Prosaschriftsteller genug davon versteht, worüber er schreibt, so soll er aussparen, was ihm klar ist. Wenn der Schriftsteller nur aufrichtig genug schreibt, wird der Leser das Ausgelassene genauso stark empfinden, als hätte der Autor es zu Papier gebracht. Ein Eisberg bewegt sich darum so anmutig, da sich nur ein Achtel von ihm über Wasser befindet.« Wir sehen als Leser also bloß die Spitze des Eisbergs …

Schreiben … es bleibt so verdammt anstrengend für mich … aber ick kann’s nicht lassen …

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