Der gefälschte Galilei (IV) – das Presseecho

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27. Januar 2014 von ibohnet

Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.

Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, wir hatten Anfang des Monats über den Fälschungsskandal um die angebliche Spezialausgabe des „Sidereus Nuncius“ von Galileo Galilei gesprochen, die von einem internationalen Expertenteam mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp an der Spitze für echt befunden worden ist, bis es zur spektakulären Aufklärung durch einen einzelnen außenstehenden englischen Kunsthistoriker (Nick Wilding) kam, der das Buch als komplette Fälschung entlarvte. Was ist seitdem in der deutschen Medienlandschaft passiert?

Ilja Bohnet: Bisher war das Echo in den Medien mehr oder weniger intelligent; wobei sich die interessantesten Artikel meiner Meinung nach in der „Zeit“ und abschließend in der „FAZ“ finden.

Nikola Rührmann: Können Sie dies ausführen?

Ilja Bohnet: Die Zeit, die mit dem Artikel von Achatz von Müller im Jahr 2007 das Buch von Bredekamp „Galileo der Künstler“ noch hymnisch gewürdigt hatte („Horst Bredekamp zeigt, dass der große Gelehrte als Künstler seine  Einsichten gewann. Der Beweis: Zeichnungen vom Mond, verschollen seit Jahrhunderten, nun wiederentdeckt. […] Bredekamp zeigt uns einen Galilei, der sich von Beginn an als Mathematiker und Künstler zugleich sah und von den Zeitgenossen ebenso gesehen wurde.„), lässt Hanno Rauterberg nach der blamablen, in den deutschen Feuilletons erst mit anderthalbjähriger Verspätung bekannt gewordenen Entlarvung mit Bredekamp abrechnen („Anders auch als bei vielen Kunstskandalen der jüngsten Zeit trifft es diesmal nicht einige leichtgläubige Sammler und raffgierige Experten. Nein, in diesem Fall leidet der Ruf einer ganzen Kohorte angesehener Forscher, der Skandal zielt ins Zentrum der deutschen Wissenschaft. […] Am Ende aber war es wohl vor allem die Kunst selber, ihre erhabene Aura, die viele der Wissenschaftler blind machte für Skepsis und Einwände. Bredekamp erzählt, er habe schon bei einem ersten flüchtigen Blick auf die fleckigen Tuschezeichnungen gewusst, dass es sich um Werke von Galilei handelte. Diese „Mischung aus Fahrigkeit und Präzision“, das konnte nur er, der geniale Meister, gemalt haben.“). Die Zeit lässt auch den düpierten Horst Bredekamp zu Wort kommen („Die schlichte Chronologie widerlegt die Unterstellung, dass die beteiligten Forscher und vor allem ich selbst den Irrtum nicht als solchen wahrgenommen und die eigenen Ergebnisse gleichsam bockig verteidigt hätten. Noch am selben Tag, an dem im Mai 2012 erstmals ein schlagendes Indiz vorlag, dass „mein“ Sternenbote eine Fälschung sei, habe ich den Vizepräsidenten für Forschung der Humboldt-Universität unterrichtet. Es handelte sich um die Beobachtung des Wissenschaftshistorikers Nick Wilding, der Paul Needham (Princeton), Verfasser von Band 2 von Galileo’s O, seine Beobachtung mitteilte, dass ein Fleck neben dem Fuß eines P auf der Titelseite des New Yorker Sidereus Nuncius auch auf einem Faksimile-Druck des Jahres 1964 vorhanden war, nicht aber auf dem Mailänder Vorbild dieses Nachdruckes.„)

Nikola Rührmann: Das klingt nach Selbstkritik.

Ilja Bohnet: Von wegen „Fleck“. Es gab offenbar eine ganze Reihe von Indizien, die dem kritischen Betrachter der New Yorker Sidereus Nuncius Ausgabe hätten ins Auge springen müssen, wie es Patrick Bahners in seinem FAZ-Artikel vom 22. Januar 2014 haarklein darlegt; aber Bredekamp, so scheint es, blieb bis zum bitteren Ende beratungsresistent. Die Aquarellzeichnungen in der ominösen Spezialausgabe des Sidereus Nuncius beispielsweise, deren Urheberschaft Bredekamp Galilei höchstpersonlich zugeschrieben hatte, orientieren sich an Galileis Florentiner Mond-Aquarellen, von denen eines aus platztechnischen Gründen um 90 Grad gedreht ist; der Fälscher kopierte diese originalen Florentiner Mondbilder eins zu eins,  auch das des um 90 Grad verdrehten Mondbildes, und das, obwohl dies so im Buch astronomisch betrachtet sinnlos ist. Owen Gingerich, ein emeritierter Professor für Astronomie und Wissenschaftsgeschichte der Harvard-Universität machte Bredekamp bereits vor Jahren darauf aufmerksam, dass hier etwas nicht stimmen konnte, dass Galileo Galilei ein solcher Fehler sicherlich nicht unterlaufen wäre (und ihm in den regulären Sidereus Nuncius Ausgaben, die gleichartige Radierungen des Mondes enthalten, auch nicht unterlaufen war): „In Gingerichs Augen spitzte sich in diesem Fall ein Kampf der Forschungskulturen zu: Auf der einen Seite stehen Wissenschaftshistoriker, die vom astronomischen Befund ausgehen, auf der anderen Seite Kulturwissenschaftler, die naturkundliche Texte interpretieren wie Kunstwerke. […]. Nach Gingerichs Eindruck hat sich Bredekamp vom eigenen Enthusiasmus fortreißen lassen„, wie es Patrick Bahners wiedergibt.

Nikola Rührmann: Bredekamp hat gesehen, was er sehen wollte. Er ist offensichtlich Opfer seiner eigenen Theoriengläubigkeit geworden.

Ilja Bohnet: Ja, aber der Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich geht noch etwas weiter. Er sieht es in dem vorerst letzten Artikel der Zeit zu diesem Thema etwas kritischer: Eine Kunstwissenschaft, wie sie Bredekamp betreibe, bereite selbst den Boden für die Existenz von Fälschungen dieses Typs, so Ullrich. Zugleich forciere sie allgemein einen unkritischen Umgang mit Bildern. Sich nur als Opfer raffinierter Krimineller darzustellen, sei daher zu einseitig.

Nikola Rührmann: Was meint Ullrich damit?

Ilja Bohnet: Ganz ähnlich wie Nick Wilding, der Aufklärer des hier behandelten Fälschungsskandals, greift Wolfgang Ullrich direkt das Forschungsgebaren von Horst Bredekamp an. Kein anderer Fachkollege setze den Topos von „der Macht der Bilder“ wieder und wieder so dramatisch in Szene wie Bredekamp: „Galilei der Künstler wird für die Kunstgeschichte reklamiert; suggeriert wird, sie habe die Methoden und das Wissen, um ihm am besten gerecht zu werden. Doch nicht genug damit, dass Bredekamp Galileis Skizzen und wissenschaftliche Zeichnungen zu Kunstwerken erklärt; zugleich behauptet er, Galileis Forschen sei wesentlich von der Überzeugungskraft seiner eigenen Bilder geleitet. In seinen Zeichnungen stecke also der Kern seiner wissenschaftlichen Persönlichkeit. Galilei sei somit nicht länger als ein Naturforscher zu betrachten, der zudem ein wenig gezeichnet habe, sondern als ein Künstler, dessen große bildnerische Begabung ihn überhaupt erst zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen befähigt habe. Diese doppelte Aufwertung der Zeichnungen Galileis zu Kunstwerken und Erkenntnismotoren betreibt Bredekamp bis in einzelne Formulierungen hinein„, schreibt Ullrich, wobei der Duktus der Formulierungen zum Argument werde. Auch wenn Wolfgang Ullrich seinem Fachkollegen Bredekamp nicht unterstellt, aus Marktkalkül zu handeln, sieht er in ihm durchaus einen „machtbewussten Hochschulpolitiker, der weiß, wie man sich und das eigene Fach bei Exzellenzinitiativen durch Aufwertungen in den Mittelpunkt rückt und Drittmittelprojekte mit einer Rhetorik der Dramatisierung einwirbt.“

Nikola Rührmann: Das ist hart. Was interessiert Sie so an dem Fall, lieber Herr Bohnet?

Ilja Bohnet: Wenn ich ehrlich bin, interessiere ich mich am meisten für Bredekamp und dessen Psychologie. Auch für die taktischen Manöver, aus dieser blamablen und die eigene wissenschaftliche Reputation gefährdende Situation wieder halbwegs unbeschadet herauszukommen, etwa durch die Publikation eines dritten Bandes zu dem gefälschten Buch mit dem interessanten Titel „Galileo’s O Volume 3. A Galileo Forgery: Unmasking the New York Sidereus Nuncius„, das in den kommenden Tagen erscheinen wird.

Nikola Rührmann: Fürwahr, der Titel suggeriert, Bredekamp und sein Team höchstselbst hätten die New Yorker Sidereus Nuncius Ausgabe als Fake demaskiert.

Ilja Bohnet: Das ist doch klasse, dieser Ansatz. Um ein Haar hätte sich Bredekamp als selbstkritischer Aufklärer gebären können. Leider ist ihm die Zeit mit dem Artikel von Hanno Rauterberg dazwischengekommen. Ich bin gespannt, wie das Buch in den kommenden Tagen besprochen wird. Wie dem auch sei, diese Aura des Hochschulprofessors, des unangreifbaren Connaisseurs, fasziniert mich; speziell mit Blick auf mein nächstes Buchprojekt. Und ebenso die Haltung der Feuilletons, wie die der kunstbeflissenen Öffentlichkeit, die Bredekamp in seiner Bildbeschwörung zujubelt und seiner Theorie des Bildakts andächtig lauscht und alles einfach nur großartig findet.

Nikola Rührmann: Bis plötzlich ein Kind mit dem Finger auf des Kaisers neue Kleider zeigt und ruft: „Aber der hat ja gar nichts an.“ Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.

PS: Die Frage, inwiefern die kunsthistorischen Debatten länder- und sprachspezifisch und möglicherweise völlig „disjunkt“ verlaufen, also diese hier quasi im ‚HORTUS CONCLUSUS’ DER DEUTSCHEN KUNSTGESCHICHTE, wird hier diskutiert.

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