Der gefälschte Galilei (III) oder: Was lernen wir daraus?

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5. Januar 2014 von ibohnet

Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.

Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, wir hatten gestern und vorgestern über den Fälschungsskandal um die angebliche Spezialausgabe des „Sidereus Nuncius“ von Galileo Galilei gesprochen, die von einem internationalen Expertenteam für echt befunden worden ist, bis es zur spektakulären Aufklärung kam und sich das Buch als komplette Fälschung erwies. Was sind die Lehren aus diesem Fall?

Ilja Bohnet: Hinterher ist man immer klüger, nichtsdestotrotz sollte der Fall Anlass geben darüber nachzudenken, was auf seiten der Gutachter und der Öffentlichkeit falsch gelaufen ist. Was die Gutachter anbetrifft, ist in den beiden vorangegangenen Blog-Beiträgen (‚Der gefälschte Galilei‘ I und II) meiner Meinung nach alles gesagt worden, zusammenfassend gesprochen kann man sich merken: (1) Alles ist möglich (auch das Fälschen kompletter Bücher), und ein Fake materialtechnisch nicht ohne weiteres nachweisbar; (2) ein skeptischer, nüchterner Blick auf die Dinge ist immer angebracht; und (3) narrensichere Expertenurteile gibt es nicht. Aber im Grunde hat der Fall gezeigt, dass der Wissenschaftsbetrieb sehr gut funktioniert; wenn Bredekamp davon spricht, dass die Wissenschaftsgeschichte jetzt ihren Laden zumachen kann, dann gilt das höchstens für seinen Laden; der von Nick Wilding bspw. kann meiner Meinung nach geöffnet bleiben.

Nikola Rührmann: Und was ist mit der Öffentlichkeit?

Ilja Bohnet: Tja, die verhält sich recht unterschiedlich. Die mediale Öffentlichkeit in Deutschland hat die hier diskutierten Fragen noch gar nicht oder nicht sehr bissig aufgegriffen. Ist das kunsthistorische Thema und der wissenschaftliche Umgang damit für die Öffentlichkeit nicht interessant genug? Es ist schon erstaunlich, wie enthusiastisch die Entdeckung der angeblichen Galilei-Aquarelle im Jahr 2007 von sämtlichen Feuilletons gefeiert wurde (diese „Mischung aus Fahrigkeit und Präzision“, einfach großartig, Galilei, erst Künstler, dann Wissenschaftler, ich habe es schon immer gewusst), aber ihre Demaskierung als plumpe Fakes wenig Resonanz in der deutschen Presse produziert hat; abgesehen davon: die Resonanz, die durch den Fall produziert wurde, kommt in Deutschland anderthalb Jahre verspätet. Offenbar ist das Thema ohne echte kunsthistorische Brisanz, anders kann ich mir das nicht erklären.

Nikola Rührmann: Und die Presse ein Wanderzirkus. Heute ist sie hier, morgen dort. Welche Rolle spielte das Internet?

Ilja Bohnet: Einerseits eine große Rolle, sonst hätte Nick Wilding nicht das Titelblatt der Spezialausgabe des Sidereus Nuncius „aus der Ferne“ in Augenschein nehmen können. Andererseits ist es erstaunlich, dass es durchaus deutsche Blogs gibt, die bereits 2012 den Skandal thematisierten, aber der Fall in Deutschland trotzdem schlicht nicht wahrgenommen wurde, obwohl die New York Times bereits im August 2012 davon berichtet hatte. Very strange. Und auch das niemand die Vorgehensweise der Humboldt Universität zu Berlin hinterfragt, die laut einem Radio-Interview von Herrn Bredekamp angeraten haben soll, mit einer Bekanntmachung des Fälschungsskandals zu warten, bis eine dezidierte (Gegen-)Darstellung des Falles seitens Bredekamp et al. vorliegen würde, ist mehr als merkwürdig. Ich meine, es ist die wissenschaftliche Pflicht, eine solche Tatsache umgehend im wissenschaftlichen Umfeld bekannt zu machen (als Erratum), auch wenn das jetzt moralisch klingt, aber das gehört zum guten Ton des wissenschaftlichen Arbeitens. Fehler gehören dazu, aber man muss sich dazu bekennen. Wie gesagt, nachwievor werden im Zusammenhang mit der vermeintlichen Entdeckung der Spezialausgabe des Sidereus Nuncius Bredekamps Bücher in Deutschland für viel Geld zum Kauf angeboten, ohne einen einzigen Hinweis zu geben, dass sie lediglich eine trickreich gemachte Fälschung besprechen. Das wundert mich wirklich.

Nikola Rührmann: Ilja Bohnet, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Zum Abschluss noch ein paar Links aus der Blogger-Szene, die den Fall besprechen:

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