Der gefälschte Ruhm – der mediale „Hype“ um vermeintlich geniale Fälscher
Hinterlasse einen Kommentar3. Februar 2014 von ibohnet
Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.
Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, das Ehepaar Beltracchi im Fernsehen und die Öffentlichkeit jubelt.
Ilja Bohnet: Ich bin so müde dagegen anzuschreiben, liebe Frau Rührmann.
Nikola Rührmann: Nu‘ los!
Ilja Bohnet: Die Sendung „3nach9„: eine großartige Werbekampagne für den Rowohlt-Verlag, der die Bücher des Fälscherpaares aktuell in den Buchhandel bringt, für Herrn di Lorenzo, der als „Zeit“-Redakteur und Moderator dieser Sendung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlägt: ein schillerndes Paar in der Sendung, und ein guter Werbeblock für die Wochenzeitschrift „Die Zeit“, die in Absprache mit Rowohlt eine vierseitige Besprechung des Beltracchhi-Werkes plant, um darin die Mär des genialen Fälschers zu nähren. Die perfekte Vermarktung, die da praktiziert wird, und das Volk meint, man mache sich hier gemeinsam lustig über einen sinnentleerten, absurd kommerzialisierten Kunstmarkt. Aber in Wirklichkeit ist man hier schon viel weiter, man macht man sich hier lustig über jene, die das alles lustig finden.
Nikola Rührmann: Was meinen sie?
Ilja Bohnet: Campendonk und Max Ernst würden sich im Grabe umdrehen, wenn sie wüssten, wie ein Herr Fischer in ihrem Namen ihr Oevre maltretiert und missbraucht hat (aber wenn sie das könnten, dann würden sie wohl lieber noch aus ihrem Grab ganz heraussteigen und dem Typen in den Hintern treten). Wie dem auch sei, war es nicht unlängst die Zeitschrift „Die Zeit“, die das Recht auf Urheberschaft (im Zusammenhang mit Copyright-Rechten und Open Access) als höchstes Kulturgut in die Höhe hielt? Jetzt bewirbt sie das Werk genau solcher Urheberrechtsbrecher. Das ist kein Kavaliersdelikt, verdammt.
Nikola Rührmann: Jetzt seien sie doch um Himmels Willen nicht so moralisch?
Ilja Bohnet: Verdammt, mir bleibt doch nichts übrig, einer muss den Job doch machen. In diesem Zusammenhang möchte ich sehr das Buch von Stefan Koldehoff und Tobias Timm, „Falsche Bilder, Echtes Geld“ empfehlen (erschienen im Galiani Verlag), in der die beiden nicht nur sehr schön den dubiosen Kunstmarkt mit seiner diskret operierenden Verwertungskette, bestehend aus Künstlern/Fälschern, Einlieferern, Galeristen, Kuratoren, Aktionatoren und Investoren beleuchten, sondern auch die Frage nach Original und Fälschung stellen und diese sehr schön auch beantworten, und mit diesem dämlichen Mythos vom genialen Fälschergenie aufräumen.
Nikola Rührmann: Was passiert mit einem Gemälde, wenn es als Fälschung entlarvt wird?
Ilja Bohnet: „Die Bilder sind entblößt, ihre Aura ausgeknipst„, zitieren Koldehoff und Timm den Kunsthistoriker Peter Geimer. Wenn sich beispielsweise herausstellt, schreiben sie weiter, „dass die Risse und Sprünge auf dem Kunstwerk künstlich sind, dass die Geschichte der Vorbesitzer des Bildes mit der Absicht erfunden wurde, den Betrachter über die Echtheit des Bildes zu täuschen, dann fehlt dem Bild ein wesentlicher Bestandteil seiner Bedeutung, dann fehlt ihm seine Autorität. Im [echten Kunstwerk] stecken der Schweiß und die Qualen, die mit seiner Entstehung einhergingen, beim [Fake] fehlen diese Komponenten ganz. […] Wirft man heute einen nüchternen Blick auf die Fälschungen von W. Beltracchi [(geb. Fischer)], so fragt man sich bei einigen der Bilder, wie diese ob ihres mangelhaften Stils überhaupt bei Experten bestehen konnten.“ Laut Peter Geimer sei „das Karikaturhafte der gelungenen Fälschung, das sich meist erst im Rückblick zeigt, auch ein Zeugnis für die Veränderlichkeit des Sehens“ – und damit Ausdruck unserer Zeit.
Nikola Rührmann: Also ähnlich wie im Fall der Galileo Fälschung: Die Gesellschaft bekommt die Fälschung, die sie verdient. Und? Ihr Schlussresümee?
Ilja Bohnet: Die Beltracchis-geborenen Fischer haben erst Max Ernst, Campendonk und andere redliche Künstler betrogen, dann einen überheizten Kunstmarkt über den Tisch gezogen, schließlich nach Aufklärung des Falles der ihnen zujubelnden Öffentlichkeit eine lange Nase gezogen. Gratulation.