Belletristik versus Sachbuch

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10. August 2023 von ibohnet

Belletristik versus Sachbuch – worin unterscheiden sich die zugrundeliegenden Textformen?

Nachfolgend ein paar Gedanken zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden beim Schreiben von Belletristik und Sachbüchern – anlässlich meiner eigenen Textarbeit in beiden Genres.

Ich sehe zunächst einmal in beiden Textarten, im Sachbuchtext wie im belletristischen Text einen gemeinsamen Ansatz, nämlich:

  • eine Geschichte oder einen Sachverhalt erzählen zu wollen,
  • diese Geschichte in irgendeiner Form dramaturgisch aufzubereiten (mittels eines roten Fadens),
  • für diese Erzählung oder Geschichte eine bestimmte Sprache zu verwenden.

(Abbildung: Michael Vogt. Aus der Kurzgeschichte ›Einer für Alle‹ von Ilja Bohnet, erschienen in der c’t im Februar 2023. Eine Geschichte zwischen Science und Fiction.)

Das Konzept ist also in beiden Genres prinzipiell dasselbe. Man will etwas erzählen, und über den wie auch immer gearteten Erzählbogen erzählt man das besagte Etwas. In beiden Textformen möchte man überdies spannend erzählen. Worin unterscheiden sich nun aber die Textformen – inhaltlich wie dramaturgisch oder sprachlich?

Der Sprachwissenschaftler Michael Schikowski schreibt in seinem ›Handbuch: Sprache in der Literatur‹, das mir auszugsweise vorliegt: »Ziel der Sachprosa ist in der Regel Authentizität, Glaubwürdigkeit und Plausibilität

Ich will dem Literaturwissenschaftler nicht widersprechen, aber ich würde doch sagen, das Ziel der Sachprosa besteht eher in der strukturierten Vermittlung eines wie auch immer gearteten rational fassbaren Sachverhalts. Die Authentizität, Glaubwürdigkeit und Plausibilität sind nur Grundlagen guter Sachprosa. Oder anders gesagt: Die Vermittlung des Sachverhalts muss idealerweise authentisch sein, der darin dargelegte Sachverhalt plausibel erscheinen, und beides zusammen macht die Sachprosa erst glaubwürdig. Authentizität erfolgt beispielsweise durch Quellenangaben oder nachvollziehbare Bezüge zu den Quellen. Plausibilität entsteht, wenn der geschilderte Sachverhalt einer nachvollziehbaren Logik folgt. Wenn schließlich beide Kriterien erfüllt sind, Authentizität und Plausibilität, dann erscheint ein Text glaubwürdig.

Interessanterweise gelten diese Kriterien sowohl für Sachprosa wie für Belletristik. Zwar ist das Ziel in der Belletristik ein etwas anderes. Mitunter geht es auch um die Vermittlung bzw. Beschreibung eines rational nachvollziehbaren Sachverhalts. Doch im Gegensatz zur Sachprosa sind die in der Belletristik geschilderten Sachverhalte unbestimmter. Vielleicht sogar komplexer, dreht es sich doch hierbei zumeist um Gefühlslagen von Personen wie Liebe und Hass, Angst und Hoffnung usw., kurz: um die Psychologie und Gefühlswelt von Menschen. Nicht wie in einem populärwissenschaftlichen Sachbuch zum Beispiel bloß um ›Dunkle Energie‹ oder ›Schwarze Löcher‹. So komplex die dahinterstehenden Phänomene auch sein mögen, sie lassen sich doch besser eingrenzen als die Psychologie der in der Belletristik geschilderten Menschen. Dennoch muss auch in der Belletristik die Schilderung des Sachverhalts (im weiteren Sinne die Psychologie der Dramatis Personae) authentisch und plausibel sein, ansonsten wird die Geschichte unglaubwürdig.

Ebenso wie Authentizität und Plausibilität gibt es weitere Kriterien, die sowohl für gute Sachprosa wie auch für gute Belletristik gelten; beispielsweise Prägnanz und Relevanz: nicht mehr zu schreiben als nötig. Also nur über das zu sprechen, was zur Vermittlung des Sachverhalts notwendig ist. Nur das zu erzählen, was erzählenswert ist, alles andere lenkt nur ab und ermüdet .

Kill your darlings!

Stephen King, On Writing: A Memoir of the Craft

Worin bestehen aber dann die Unterschiede dieser beiden Textformen Belletristik und Sachprosa, wenn sie dasselbe Konzept verfolgen und an denselben Kriterien gemessen werden? Natürlich sind nicht nur die zu vermittelnden Sachverhalte in beiden Textformen andere, und entsprechend unterscheidet sich die dramaturgische Ausgestaltung von Sachprosa und Belletristik (was zum Beispiel Spannungsbögen anbetrifft usw.). Aber von diesen formalen Unterschieden mal abgesehen, bestehen die größten Unterschiede zwischen Sachprosa und Belletristik unter anderem in der jeweiligen Erzählweise:

Die Erzählweise in der Sachprosa ist stetig und linear. Ein Sachverhalt wird geschildert über eine logisch verknüpfte Kette, über Aussagen A, B und C usw. Unstetigkeiten in der Erzählung sind eigentlich zu vermeiden, weil sie die Verständniskette für den Leser unterbrechen (wie ein lückenhaftes Treppengeländer). In der Belletristik ist es in gewisser Weise umgekehrt. Eine lineare und stetige Erzählweise ist totlangweilig. Nein, literarischer Reichtum entsteht erst durch Reduktion und Auslassung. Das Bild im Kopf des Lesers braucht nicht viele Worte, sondern nur wenige richtige.

Das Bild im Kopf des Lesers braucht nicht viele Worte, sondern nur wenige richtige.

Im Gegensatz zur Sachprosa darf Belletristik nicht erklären. Nicht umsonst heißt es »Show, don’t tell!« Die Kunst der guten Literatur besteht darin, nur so viel zu erzählen wie nötig, dabei so viel zu erzählen wie möglich. Erklärungen haben in der Belletristik eigentlich nichts zu suchen, schon gar keine sachtextartigen. Das wirkt nur ermüdend und belehrend. Was nicht heißt, dass nicht auch die Belletristik auf komplexen Sachverhalten beruhen kann, anspruchsvolle Sachzusammenhänge zur Grundlage hat. Das heißt auch nicht, dass Belletristik nicht auch eingebettet sein kann in einen bemerkenswerten Sachkontext. Aber die Erklärung darf nur einen Rahmen bieten, keine vollumfängliche darstellen, nicht Selbstzweck sein, denn niemand will ein Sachbuch lesen, wenn er mit Belletristik rechnet. Es geht dabei nicht nur um die Ermüdung, die beim Leser erzeugt wird, sondern der Erklärbär verfehlt auch das Thema.

Denn, und jetzt kommen wir zu einem weiteren wesentlichen Unterschied zwischen Sachprosa und Belletristik, vielleicht sogar dem entscheidenden: in einem Kriminalroman oder einem Science-Fiction (ja, trotz der Science) oder einem Drama geht es eben nicht um die Mechanik der Welt, sondern um die „Mechanik des Menschen“. Ja mehr noch, eigentlich geht es um den Mangel, um die Fehlleistung des Menschen, um sein Versagen, denn das ist das Spannende an diesen Geschichten. Nicht das Gelingen und das Erfolgreichsein und das Erreichen von Zielen, sondern das Misslingen, es geht um das Scheitern, das ist das Thema der Belletristik – etwas überspitzt gesagt.

Und das ist dann vielleicht auch der fundamentale Unterschied zwischen Sachprosa und Belletristik. Ein Unterschied, den ich auch in der Naturwissenschaft und Kunst sehen würde. Nämlich: Während die Sachprosa Erkenntnisfortschritt anstrebt, geht es in der Belletristik (ich will nicht sagen ums Gegenteil) in gewisser Weise ums Gegenteil (sic!). Das Ausleuchten der Schwächen, das Versagen, das Scheitern, und wie der Protagonist damit zurechtkommt, das ist das, was die Belletristik zum Thema hat.

Bleibt die Frage, ob es sich beim vorliegenden Text um Sachprosa oder Belletristik handelt… Nein, es ist augenscheinlich, dass hier Sachprosa vorliegt… Doch wer weiß, vielleicht hat sich an der einen oder anderen Stelle auch etwas literarisches eingeschmuggelt, womit sich die eigentliche Frage anschließt: Gibt es fließende Übergänge zwischen Sachprosa und Belletristik? Dazu vielleicht ein andernmal mehr…

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