ArGL… (II)

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28. November 2022 von ibohnet

oder vom „Autonomen Comic-Seminar“ zur Arbeitsstelle für Grafische Literatur (ArGL)

»Um acht Uhr gingen sie gemeinsam zum Boulevard Auguste-Blanqui ins Gewerkschaftshaus, wo der Club der Freidenker eine Diskussion zum Thema: „Wer ist schuldig? Die Gesellschaft oder der Verbrecher?“ veranstaltete. Nach der Konferenz gingen sie ins Heim der Vegetalier und redeten bis spät in die Nacht. Unterbreitete Lenantais seinen Freunden bei dieser Gelegenheit seinen utopischen und großartigen Plan?« Just an diese Szene musste denken, als wir in einer kleinen Gruppe aus Kommilitonen an einem späten Herbstabend des Jahres 1987 von der Mensa am Kuppelbau des Audimax vorbei in Richtung Philturm zogen, wo oben im 12. Stockwerk erstmals das Autonome Comic-Seminar stattfinden sollte.

Der Anglist Johannes N. Schmidt, ein Unterstützer des Autonomen Comic-Seminars der ersten Stunde, erinnert sich, wie es bei dessen Institutionalisierung weiterging:

„Was also zu jener Zeit sich noch eher als Wagnis darstellte (freilich nicht in den Augen der von ihrer Mission unbeirrt überzeugten Studierenden), wurde schon bald ein Erfolg. Zunächst mußte erst eine Grundlage mit einer aufzubauenden Bibliothek gelegt werden, die einige Jahre in einem Gebäude nahe der Universität, dann im Philturm untergebracht wurde. Für das Prestige des Projekts ungemein wichtig war auch eine einwöchige Vortragskonferenz mit einschlägig erfahrenen Gästen aus den USA, Großbritannien und Frankreich, die von der DFG finanziell gefördert wurde. Später entstand auch ein wöchentlicher Lektürekreis, der sich mit neugieriger Akribie Jacques Tardis und Léon Malets „120, rue de la Gare“ widmete. Seit meiner Emeritierung und der sich immer mehr in die Länge ziehenden Renovierung des Philturms kann ich nicht beurteilen, welche Rolle Comics in ihrer universitären Befassung anschließend noch spielten, aber ich weiß, dass die studentischen „Pioniere“ Wege gegangen sind, die in ihrer Offenheit ein Verständnis nicht nur für neue Formen innerhalb der populären Literatur, sondern auch für neue Sehweisen (ganz auch im strikt visuellen Sinn) gefördert haben. Man steht 2022 nicht mehr dort, wo man 1990 stand.“

(Aus der Laudatio von Johannes N. Schmidt für seinen befreundeten Universitätskollegen Marc Föcking, 2022)

PS: Und tatsächlich, die Argl existiert noch heute, siehe Arbeitsstelle für graphische Literatur der Universität Hamburg.

PPS: Zudem entwickelte sie sich als Plattform und Netzwerk mit Kontakten ins Verlagswesen von Primär- und Sekundärliteratur. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang beispielsweise die Edition Alfons (Verlag Volker Hamann) mit dem fast monatlich erscheinenden Fachmagazin Alfonz – der und der Reddition – Zeitschrift für Graphische Literatur, die zweimal im Jahr Deutschlandweit erscheint, und für die Akteure der ersten Stunde regelmäßog schreiben (Ole Frahm, Michael Hein, Jens R. Nielsen u. a.)…

PPPS: Der von Johannes angesprochene Lektürekreis, an dem neben dem Germanisten Michael Will auch meine Wenigkeit teilnahm (sowie zeitweise noch ein weiterer Student), las besagten Comic „120, rue de la Gare“ von Jacques Tardi und Léo Malet über einen Zeitraum von sage und schreibe vier (!) Jahren: von 1991 bis 1994! Herausgekommen ist dabei tatsächlich ein Fachartikel der Sekundärliteratur, meine erste (trotz meines überschaubaren schriftlichen Beitrags daran) wissenschaftliche Publikation überhaupt. An anderer Stelle werde ich diese Arbeit vielleicht veröffentlichen…

Ilja Bohnet, Johann N. Schmidt, Michael Will, 120, Rue de la Gare von Léo Malet und Jacques Tardi, Artikel im Lexikon der Comics, Marcus Czerwionka (Hrsg.), Corian-Verlag, Meitingen, 1991ff., ISBN 978-3890489001, 1994

PPPPS: Ich grüße an dieser Stelle Johannes N. Schmidt und Michael Will ganz herzlich!

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