10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Robert Kudielka

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21. Oktober 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit dem Kunstwissenschaftler Robert Kudielka.

Foto: Gisela von Bruchhausen, Dresden, 2019.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht der Kunstwissenschaftler Robert Kudielka.  Der promovierte Philosoph hat als Kunstwissenschaftler an verschiedenen Hochschulen geforscht und gelehrt, insbesondere an der renommierten Universität der Künste Berlin, wo er von 1978 bis zu seiner Emeriterung 2010 den Lehrstuhl für Ästhetik und Theorie der Kunst inne hatte. Robert Kudielka ist Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg und wirkt überdies seit vielen Jahren als Kurator an zahlreichen Ausstellungen der Bildenden Kunst mit. Unlängst ist zum Beispiel eine Gesamtausgabe von ihm und anderen zu der Künstlerin Bridget Riley erschienen, die Kudielka seit 1967 persönlich kennt und deren Oevre er seitdem kunstwissenschaftlich eng begleitet.

Meine erste Begegnung mit Robert Kudielka hatte ich an der UdK 1998 im Rahmen eines Vortrags von ihm über den US-amerikanischen Kunstkritker Clement Greenberg (ein wichtiger Vermittler der abstrakten Kunst in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg). Ich war von der Vorlesung derart begeistert, dass ich Robert Kudielka sogleich um ein Interview für ein Radiofeature bat, an dem ich seinerzeit (gemeinsam mit meinem Kommilitonen Bernhard Kaufmann) arbeitete: „Die Naturwissenschaft – ein Kulturphänomen in seinen Schranken und Möglichkeiten“, neben Robert Kudielka mit den weiteren Gesprächspartnern Olaf Breidbach und Albrecht Wagner, als Sprecher wirkten Ulrich Pleitgen und Claudia Rieschel, das Feature steht als podcast online und kann hier abgerufen gehört werden.

Als ich Robert Kudielka im Jahr 2020, gut zwanzig (!) Jahre später, anlässlich des bevorstehenden 200. Geburtstagsjubiläums von Hermann von Helmholtz um ein neuerliches Interview bat, antworte er mir lakonisch: »Die großen Zeiträume, in denen sich unsere Beziehung bewegt, gefallen mir. Gerne führe ich ein Gespräch mit Ihnen über ‘Kunst & Kultur‘.« (Der daraus entstandene Artikel „Der Forscher am Klavier“ von Franziska Roeder und mir (neben Robert Kudielka und den weiteren Gesprächspartnern Sibylle Anderl und Günther Wess) kann hier eingesehen werden, ferner das ungekürzte Interview mit Robert Kudielka hier).  

Umso mehr freue ich mich, dass es nun anlässlich meiner kleinen Blog-Reihe zu den „10 Fragen zum Tatmotiv“ zu einer deutlichen Erhöhung der Interaktionsfrequenz mit dem Kunstwissenschaftler Robert Kudielka gekommen ist…

Der Farbendenker

1. Sie sind Kunstwissenschaftler, Mitglied der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg, forschen zur Kunst und wirken seit vielen Jahren als Kurator an zahlreichen Ausstellungen der Bildenden Kunst. Was ist Ihr Motiv? Was treibt Sie zur Auseinandersetzung mit der Kunst an?

Peter Brook hat einmal gesagt “Art is nourishment“. Kunst ist für mich Unterhaltung, maintenance, in diesem elementaren Sinne. Auf irgendwelche Ziele oder Aufgaben hin zu leben, reicht nicht. Ich glaube, man muss das Dasein unterhalten, wie man eine Wohnung oder ein Gebäude unterhält, in Schuss hält, um die Lust daran zu erhalten. Kunst stärkt die Lebensgeister gegen das Absinken auf das Maß des Notwendigen und Gewohnten.

 2. Sie haben Ihre Laufbahn als junger Philosoph und mit der Beschäftigung der Phänomenologie und Geschichte der Metaphysik begonnen. Wie sind Sie zu der kunstwissenschaftlichen Auseinandersetzung gekommen?

Die Verbindung war sehr früh da. Als Gymnasiast haben mich die Sokrates-Dialoge Platons, die Dramen Jean-Paul Sartres und die Dogmatik von Karl Barth fasziniert (etwa in dieser Reihenfolge). Daneben kam ich durch Zufall – durch die Mitarbeit an einer Galerie in der süddeutschen Provinz – mit der künstlerischen Avantgarde der 1960er Jahre in Berührung, mit damals in der breiteren Öffentlichkeit noch fast unbekannten Protagonisten wie Raimund Girke, Gotthard Graubner, Erich Hauser, Günther Uecker, die ich Jahrzehnte später teilweise als Kollegen an der Hochschule oder in der Akademie wieder traf. An der Universität Tübingen war dann mein erstes philosophisches Proseminar Kants Kritik der Urteilskraft bei Dieter Jähnig. Das war‘s. Der erste Satz der Einleitung in die Kritik der reinen Vernunft wurde mein Credo: “Dass alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfange, darum ist gar kein Zweifel; denn wodurch sollte das Erkenntnisvermögen sonst zur Ausübung erweckt werden, geschähe es nicht durch Gegenstände, die unsere Sinne rühren…“ Kunstwerke sind speziell diejenigen Dinge, die mein Denken und Artikulationsbedürfnis wecken und in Bewegung halten.

3. Wie ist Ihre Herangehensweise an Kunst, als Wissenschaftler und als Betrachter?

Ich habe über zehn Jahre lang, schon vor dem Studium und intensiv dann neben dem Besuch der Universität, als “free lance“- Kunstkritiker in der zeitgenössischen Kunstszene gearbeitet. Der Umgang mit dem Nicht-Verstehen, das keine Barriere sein muss, sondern sich als Stimulans des Denkens und Mitteilens erweisen kann, hat meinen Zugang zur Kunst geprägt. Kunst ist ein Reflexionsbegriff, dem keine objektive Realität entspricht. Jedes Kunstwerk bleibt der kritischen Frage, ob es diesen Namen verdient, überantwortet – genauso wie es umgekehrt das Kunsturteil jeweils zur Überprüfung der eigenen Voraussetzungen zwingt. Kunsthistoriker lieben diese kritische Konstellation in der Regel nicht, da sie ihrem Forschungsgegenstand die Gewißheit und Verlässlichkeit entzieht. Vieles, was in den Museen hängt und in Galerien gezeigt wird, ist nicht Kunst, sondern Zeitdokument – “objektiver Geist“ in Hegels Terminologie – und darin gesellschaftlich und geistesgeschichtlich unter Umständen höchst interessant und aufschlussreich. Die spontane sinnliche Affirmation durch Kunstwerke, dieses unerklärliche Berührtsein, auf das man immer wieder zurückkommen möchte, ist etwas Anderes. Ernst Gombrich hat einmal davon gesprochen, dass die wissenschaftliche Betrachtung von Kunstwerken eigentlich eine “Umwegleistung“ sei. Das ist nicht unbedingt eine Misslichkeit. Auch auf Umwegen kann man ankommen – manchmal sogar besser als auf dem direkten Weg.

4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema in Ihrer Auseinandersetzung mit Kunst?

Mein Hauptthema als Hochschullehrer und Publizist ist seit Mitte der 1970er Jahre die Farbe in der Malerei gewesen. Ich habe dieses Thema als einziges in meiner Lehrtätigkeit mehrfach behandelt, stets im Spannungsfeld von europäischer Koloritgeschichte, wissenschaftlichen Theorien und kulturgeschichtlicher Diversität. Daneben hat meine Aufmerksamkeit immer auch der Bildhauerei gegolten, ihrem offenkundigen Vorrang als Weltkunst und ihrer besonderen, von der Bildkunst der Malerei überschatteten Geschichte in Europa.

5. Welche kunstwissenschaftlichen Vorbilder haben Sie für Ihre Arbeit?

Ich habe keine “Vorbilder“, aber eine ganze Reihe von Vorlieben. Ich schätze die knappe, konzise Darstellungsart von Jacob Burckhardt, bewundere Theodor Hetzers Gespür für Epochenunterschiede, und bin mit Paul Valéry der Meinung, dass die Kenntnis der “Poietik“, der Machart von Kunstwerken, ein Schlüssel zu ihrem Verständnis ist. Was das Kunsturteil angeht, ist für mich Leo Steinbergs erste Annäherung an Jasper Johns aus dem Jahre 1958 ein Lehrstück, das für angehende Kunstwissenschaftler, die sich mit zeitgenössischer Kunst beschäftigen, Pflichtlektüre sein sollte. Aber nur den eigenen Vorlieben zu folgen, wäre eine klägliche Beschränkung. Ich habe aus Erwin Panofskys letztem Buch Problems in Titian: Mostly Iconographic viel für meine Sicht auf den großen Koloristen gelernt, obwohl der malerische Umgang mit der Farbe für die ikonographische Betrachtungsweise belanglos ist.

6. Sie sagten einmal, dass die Wissenschaft empirische Gewissheiten suche und fortschrittsorientiert sei. Die Kunst stelle dazu eher eine Gegeninstanz dar, nicht im kritischen Sinne, sondern sie führe etwas vor, was ihrer Zeit fehlen würde. Wie ließen sich dann die Kunstwissenschaft und Ihre Arbeit definieren und verorten?

Fortschrittsorientiert im strengen Sinne sind in erster Linie die Naturwissenschaften. In den Humanwissenschaften gibt es allenfalls Erweiterungen, selten eine Vertiefung von Erkenntnissen, da sich ihr Forschungsgegenstand nicht in ähnlicher Weise methodisch sichern lässt. Das gilt insbesondere für die Kunstwissenschaft. Ihre Tätigkeit besteht primär im Ordnen, Vergleichen, Verallgemeinern – alles Funktionen, die für die Entstehung von Kunstwerken eher nebensächlich und für die Liebhaber unter ihren Betrachtern nicht ausschlaggebend sind. Das heißt, die Aufgabe der Kunstwissenschaft ist vorwiegend eine heuristische, sie erschließt einen Gegenstandsbereich. In dieser Hinsicht ist die Fachdisziplin der Kunstgeschichte für meine eigene Arbeit unentbehrlich und für meine Lehrtätigkeit grundlegend gewesen. Im Gegensatz dazu zielt mein Interesse auf den Charakter des einzelnen Werks, die Besonderheit seiner inneren Verfassung und seiner Stellung in der Zeit. Dabei ist mir aufgefallen, dass Kunstwerke von Rang oft in einem latenten Spannungsverhältnis zur Wirklichkeit ihrer Zeit stehen. Die große Porträtkunst der Renaissancetradition zum Beispiel, deren beeindruckende Zurschaustellung von Akzeptanz und Würde des Menschseins wir bewundern, zeigt Individuen, die realiter nicht einmal im Glauben ihres Heils sicher sein konnten. Das reicht bis ins 18. Jahrhundert, dann beginnen die Bildnisse auffällig zu verflachen. In der Moderne seit dem 19. Jahrhundert hat das Porträt schließlich seinen Rang als humanistisches Zeugnis weitgehend eingebüßt. Dieser Bedeutungsverlust ist jedoch nicht einfach eine beklagenswerte Entwicklung. Im sogenannten Anthropozän ist an die Stelle repräsentativer Bildnisse die mehr oder minder zufällige Selbstvergewisserung durch endlose snap shots getreten. Demgegenüber sind moderne Bildwerke imstande, uns in plastische Beziehungen zu versetzen, die Gesichtspunkte verrücken, Gewissheiten erschüttern und unser Sehen verändern können – womöglich sogar die Sichtweise auf uns selbst…

7. Woran arbeiten Sie zurzeit?

Meine langjährige Beschäftigung mit der Farbe in der Malerei hat mich am Ende auf eine einzige Frage geführt: Wie Farbe denken – diesen einzigartigen Singular? Denn “die Farbe“ ist weder die Summe aller Farben noch gar ein abstrakter Allgemeinbegriff. Farbe ist eine begrenzte, in unendlichen Kontrasten sich ausdifferenzierende Totalität in der Erscheinung, die jeder Vergegenständlichung einzelner Farben vorausgeht und sich in ihrer Gesamtheit den diversen kausalen Erklärungsmodellen entzieht. Es handelt sich, wenn Sie so wollen, um ein genuin phänomenologisches Problem, für das einige Maler in der Kunstgeschichte äquivalente Lösungen gefunden haben.

8. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Sie?

Die Aufmerksamkeit auf das, was an der Zeit ist, schärft den Sinn für das Übermaß an Bedeutung, das unser Nervensystem kollektiven Erregungszuständen und Stimmungslagen beimisst. Der Zeitgeist liegt nie völlig daneben, weil er offenkundigen Drängen und Bedrängnissen der Gegenwart Laut gibt; aber er trägt von sich aus wenig zur Aufklärung seiner temporären Dominanz bei. Niemand hat empfindlicher an den Nerv seiner Zeit – und teilweise auch künftiger Zeiten – gerührt als der dezidiert unzeitgemäße Friedrich Nietzsche.

9. Was würden Sie sich für Ihre Arbeit als Kunstwissenschaftler, Publizist und Kunstkommunikator wünschen?

Mehr Mut zur Anschaulichkeit auf Seiten der Künstler und Künstlerinnen, weniger Tamtam um Partizipation und Grenzüberschreitungen, Ächtung aller Formen von Gesinnungsjournalismus in der Kunst. Der Aufbruch in die physische Dimension ist in der bildenden Kunst zu einer leeren Konvention geworden. Paul Klees Bilder haben Größe, ohne raumgreifend zu sein. Die Ästhetik der Immersion, die Akzentverlagerung vom Einzelangebot zur Ausgestaltung von Erlebnisräumen ist eigentlich eine Kaufhausstrategie. Zum Betrachten angehalten werden, vor einem Werk verweilen und darauf zurückkommen zu können, ist mitunter eine nachhaltigere Erfahrung als die Entgrenzung der Wahrnehmung in Environments und Installationen. Die durch die Social Media geförderte Tendenz, die eigene Sicht der aktuellen Weltlage auch noch künstlerisch zu verbreiten, bedient vor allem Gleichgesinnte und verprellt Andersgläubige. Das einzige Bekenntnis, das moderner Kunst gut zu Gesicht steht, ist das zur Freiheit des Betrachters.

10. Welche Frage würden Sie sich überdies gerne zum Abschluss selber stellen?

Würdest Du Dich heute noch einmal auf die Verbindung Kunst-Philosophie einlassen? Antwort: Die philosophische Einstellung ist geblieben. Das scheint eine Konstante zu sein. Aber das Verhältnis zur Kunst? Ich hatte das Glück, in einer prägenden Phase meines Lebens an einem mitreißenden Aufbruch zeitgenössischer Kunst in Europa und in den Vereinigten Staaten teilhaben zu dürfen. Dieses inspirierende Momentum sehe ich in den bildenden Künsten schon länger leider nicht mehr. In den 1990er Jahren hat mich vorübergehend sogar der Gedanke angefochten, ob nicht vielleicht die Ethnologie ein dankbareres Arbeitsfeld sein könnte. Aber das war wohl nur der eitle midlife dream, noch einmal ganz von vorne beginnen zu können.

Lieber Robert Kudielka, vielen Dank für dieses Gespräch!

(Für die Antworten liegt das Copyright hier (wie bei den vorangegangenen oder noch folgenden Interviews) bei dem Befragten)

Ein Kommentar zu “10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Robert Kudielka

  1. Bravo, Robby Kudi! Du warst ja der
    Erste, der über die platte Faktenwixerei
    der Kunstgeschichte hinausging, von der zynisch- beliebigen Postmoderne…zur
    trsns- faktischen höheren Einheit und
    GANZHEIT, zur ‚Physik der Wunder‘,
    (Richard Bartlett), zur Vereinigung von
    QUANTENPHYSIK und METAPHYSIK.
    Nix is fix…,“das UNSICHTBARE ist das
    WAHRE“…(Max Planck 1900). Und Einstein: „Ich fürchte den Tag, an dem die Technologie unsere Menschlichkeit
    überholt, die Welt wird den Idioten
    gehören….Es gibt zwei Dinge, die un-
    endlich sind, der Kosmos und die menschliche Dummheit, beim Kosmos
    bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Herzlich, niklas delacroix, maler/philosoph, 0176 236 905 94.

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