10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Heiko Schon

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20. Oktober 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit dem Journalisten Heiko Schon.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht der Autor, Kulturjournalist und Opernmusikrezensent Heiko Schon. Seine berufliche Karriere beginnt er als Kulturredakteur für verschiedene Stadt- und Szene-Magazine, seit 2014 sind von ihm überdies mehrere Sachbücher zur Opernmusik erschienen, wie zum Beispiel 2018 die vielfach beachtete Biographie des Komponisten Jacques Offenbach, die sowohl profunden Kennern wie auch interessierten Laien einen anregenden Zugang zu dem musikalischen Schaffen des Vaters der Operette verspricht. Aufmerksam auf Heiko Schon wurde ich durch seine wunderbaren Tweets, die er als Opernmusikrezensent anlässlich von Musiktheaterpremieren u. d. quasi im Stakkato auf Twitter absetzt: Kurzrezensionen auf den Punkt, verbunden mit kleinen Filmaufnahmen der Künstlerinnen und Künstler bei deren Verbeugung zum Schlussapplaus. – eine wunderbare Einladung zum persönlichen Theatergang…

Der Musiktheaterlustwandelnde

1. Sie sind Autor und Rezensent und schreiben für verschiedene Stadt- und Szene-Magazine, darüber hinaus haben Sie ein besonderes Faible für Opernmusik und haben dazu schon mehrere Sachbücher verfasst: Welche Liebe treibt Sie zu dieser Auseinandersetzung als Redakteur und Rezensent, was ist Ihr Motiv?

In dem Autor steckt ja bis heute der kleine Junge, der unzählige Märchenschallplatten verschlungen und das Erzähltalent seines Großvaters überstrapaziert hat. Das Faible für Geschichten war also immer schon da. Irgendwann gesellten sich die Töne hinzu, und als der große Junge eines Tages im Opernhaus saß, ging eine riesige Tür auf. Im Grunde versuche ich seitdem, alle davon zu überzeugen, wie wichtig und schön Musiktheater ist: Ich bin Richard Gere, der Julia Roberts zum ersten Mal in die Oper schleppt. Und wenn durch meine Artikel und Bücher Begeisterung hervorblitzt, dann hoffe ich immer, dass davon ein klein wenig auf den Lesenden überspringt.

2. Wann haben Sie beschlossen, publizistisch tätig zu werden, und stand die Oper stets im Fokus Ihres redaktionellen Interesses?

Ob Sie’s glauben oder nicht: Meine Bücher – oder besser gesagt: meine Buchverträge – fielen mir von allein in den Schoß. Ich hatte das große Glück, dass mir immer Auftragswerke angeboten wurden und ich nie für die Schublade schreiben musste. Eine Lektorin mochte den Stil meiner Rezensionen, woraufhin ich eine E-Mail vom Verlagschef erhielt. Was ich zunächst für einen Scherz hielt, war tatsächlich ernst gemeint. Mir gefiel die Idee; man ließ mir freie Hand. So kam 2014 mein erstes Buch zustande. Seitdem habe ich nur Projekte realisiert, die sich richtig angefühlt bzw. zu mir gepasst haben. Und ja, die Inhalte kreiseln bei mir immer ums Genre Musiktheater, einfach, weil ich es für die genialste Kunstform halte.

3. In welchem Verhältnis stehen Sie als Rezensent und Kritiker zu dem Gegenstand Ihrer Liebe, den Künstlern bzw. den Komponisten?

Manche KollegInnen vertrauen dem kühlen Kopf, gehen emotional auf Abstand und halten Applaus für unprofessionell. Ich würde das schon wegen der Musik nicht hinkriegen, die sich in mein Inneres bohrt und mich ziemlich irrational werden lässt. Gewissermaßen legt sie von unten den Zugang für das, was ich oben sehe. Hinzukommt, dass jeder Vorstellung die Schönheit der Sterblichkeit innewohnt: Da erblühen herrlichste Töne – und, husch, weg sind sie. Oder wie Ruth Berghaus gesagt hat: „Theater ist immer heute!“. Als während der Corona-Lockdowns die Opernhäuser geschlossen waren, bekamen Begrifflichkeiten wie Wertschätzung oder Demut eine tiefere Bedeutung für mich. Kurzum: Ich brenne für das, was ich tue. Wenn’s mit der Leidenschaft vorbei wäre, würde ich aufhören.

4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema in Ihrer journalistisch-publizistischen Arbeit, gibt es spezifische Fragestellungen, denen Sie im Rahmen Ihrer Mittlerfunktion zwischen der Kunst und der kunstkonsumierenden Gesellschaft nachgehen?

Nicht nur beim Opernpublikum sind und bleiben Regiehandschriften das Dauererregungsthema Nr. 1. Immer wieder wird darüber diskutiert, was nun sein darf und was nicht oder wer sich was wobei gedacht hat und nun im Grabe rotieren wird – wie langweilig. Ich kenne nur den Unterschied zwischen gutem und schlechtem Theater, und das entscheidet sich jeden Abend aufs Neue, wenn der Lappen hochgeht. Viel interessanter ist die Thematik der Einteilung in E- und U-Musik(theater). Vor zehn Jahren kam – im wahrsten Sinne des Wortes – Schwung in diese Diskussion, losgetreten durch Barrie Kosky, der bewies, wie viel Tiefe und Klasse die Leichte Muse haben kann. Er versteht es, unter dem Deckmantel von brillanter Unterhaltung politische Botschaften unters Theatervolk zu bringen, frei nach dem Motto: Bling Bling und Bildungsauftrag schließen einander nicht aus. Unter seiner Intendanz wurde die Komische Oper Berlin zum Trendsetter: Erst strömte das Publikum in Scharen und dann tauchten kurz darauf überall im deutschsprachigen Raum Raritäten von Emmerich Kálmán, Paul Abraham, Nico Dostal, Oscar Straus, Jaromír Weinberger und Jacques Offenbach in den Spielplänen auf. Das journalistisch zu begleiten und immer wieder in meinen Texten zu begrüßen ist mir ein echtes Anliegen.

5. Welche publizistischen Vorbilder haben Sie für Ihre Arbeit – generell und auch mit Blick auf Ihre Arbeit als Opern- und Musikkritiker?

Schwierige Frage. Ein begnadeter Publizist, dessen Analysen zum Zeitgeschehen zeitlos gut geblieben sind, ist Loriot. Er konnte die deutsche Sprache in seinen Formulierungen so herunterbrechen, dass sie jeder verstand. Seine Texte waren nie elitär und dennoch voll blitzgescheitem Humor.

6. Was macht für Sie gutes (journalistisches) Schreiben aus?

Da möchte ich zunächst mal unterscheiden. Der Rezensent einer Aufführung hat das, was über Ohren und Augen im Hirn landet, mittels Finger oder Stimme zu dokumentieren. Er sollte in der Lage sein, seine Meinung zu formulieren und Kritik – die gute wie die schlechte – zu begründen. Der Autor wiederum muss sehr viel Zeit in die Recherche stecken. Am Ende sieht der Lesende etwa 80 Prozent der Arbeit, die dahinter steckt, gar nicht. Mit einem Sachbuch sollte immer der Anspruch verbunden sein, eine Lücke in der Fachliteratur zu schließen bzw. kein Buch zu schreiben, dass es schon gibt. Rezensent und Autor treffen aufeinander, wenn es darum geht, Wissen zu transportieren. Ihre Worte entscheiden darüber, ob sie ihr Ziel erreichen. Und da bin ich gleich wieder bei Loriot und Barrie Kosky: Mit Humor kann so vieles vermittelt werden, warum nicht auch Meinungen, Analysen, Hintergründe? Jan Böhmermann ist mit seinem Investigativ-Magazin aus dem Grund so erfolgreich, weil er die Themen als schnittige Satire präsentiert.

7. Woran arbeiten Sie gerade (auch wenn dies eine flüchtige Frage ist, denn wie Ihre wunderbaren Tweets eindrücklich bezeugen, sind Sie als Kritiker und Rezensent ein „rasender Reporter“)?

Ich bin immer gut damit gefahren, erst dann die Katze aus dem Sack zu lassen, wenn das fertige Manuskript beim Verlag liegt. Was ich verraten kann ist, dass mir der Verleger eine Zweitauflage meines Offenbachs vorgeschlagen hat – als E-Book. Und ich werde wieder Lesungen in Kombination mit Einführungen in Offenbach-Stücke halten, was voll mein Ding ist. Ein Operndirektor bezeichnete mich mal als Warm-Upper.

8. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Sie?

Das wichtigste Kriterium im Theater ist Glaubhaftigkeit, die wiederum durch Identifikation entsteht. Folglich bedingt eine Gesellschaft, die sich permanent verändert, auch den Wandel des Theaters. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass sich das Publikum in den Stücken nicht mehr wiedererkennt, die Oper zum Museum wird. Das bedeutet nicht, dass die Bühnen-Ästhetik so aussehen muss, als ob ich mir gerade die „Tagesthemen“ oder einen Videoclip bei TikTok anschaue. Das Publikum sollte nie unterschätzt werden, denn es ist in der Lage, Metaphern zu dechiffrieren, zwischen den Zeilen zu lesen. Ich mag Regiearbeiten, die die eigene Fantasie anregen, mithin zum Nachdenken, auch wenn sie vielleicht vordergründig verstörend wirken, wie etwa die Inszenierungen von Hans Neuenfels, dessen Lieblingssatz immer war: „Man kann eine Oper nicht zeitgenössisch inszenieren, indem man statt einer Kutsche einen Porsche hinstellt“. Um beurteilen zu können, wie up to date Musiktheater ist, empfehle ich kulturelles Inselhopping. Damit meine ich nicht nur Sprech- und Tanztheater, sondern auch Kino, Kleinkunst, kommerzielle Musicals, ja sogar RTL. Und wie spannend ist es, wenn eine Sparte in die andere schwappt, uns Quereinsteiger über den Rand des Operntellers hinausblicken lassen. Aus so einer Symbiose entstand mit dem Videodesign eine völlig neue Kunstform am Theater.

9. Was würden Sie sich für Ihre Arbeit wünschen?

Nur mit Menschen zusammenzuarbeiten, die mit Herzblut bei der Sache sind. Damit meine ich in erster Hinsicht Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Engagement und immer ein Lächeln auf den Lippen.

10. Welche Frage würden Sie sich überdies gerne zum Abschluss selber stellen?

Ist die Oper nicht zu teuer? Ich habe über die Jahre festgestellt, dass Oper nicht nur Genuss bereitet und das Köpfchen auf Trab hält, sondern auch eine Menge Geld spart. Wenn andere erst in die Kirche, dann zum Therapeuten und schließlich ins Fitnessstudio rennen, gehe ich immer nur in die Oper.

Lieber Heiko Schon, vielen Dank für dieses schöne Gespräch!

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