10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Henny Hidden

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27. Juli 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit der Krimikommunikatorin und Autorin Henny Hidden.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht die Krimikommunikatorin, Rezensentin, Bloggerin und Autorin Henny Hidden. Nach einem Studium der Philosophie und Soziologie arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der sozialwissenschaftlichen Forschung, später in der Marktforschung, zurzeit ist sie freiberuflich für ein großes Unternehmen in Deutschland tätig. Seit etwa fünfzehn Jahren tritt sie in der Krimi-Szene als Bloggerin und Rezensentin in Erscheinung und stellt als Krimikommunikatorin und -multiplikatorin inzwischen eine Instanz dar, unter anderem bei den Mörderischen Schwestern

Die Krimi-Lady

1. Du betreibst seit geraumer Zeit eine Krimi-Website zur deutschsprachigen Krimischreibszene und weist auf Veranstaltungen und Kulturereignisse in diesem Metier hin, schreibst unter anderem Rezensionen und hast jüngst an der Arbeit an einem eigenen Manuskript begonnen. Was treibt Dich zu dieser vielfältigen Krimikommunikation?

Schon als Kind habe ich Bücher verschlungen. In meiner Jugend las ich viele Klassiker, keine Krimis. Erst in den neunziger Jahren, nachdem ich in Ystad im Urlaub war, wurde ich auf Henning Mankell aufmerksam und dachte, dass es nicht so schwer sein könnte, meine Meinung im Netz kundzutun. Seitdem ist viel Zeit vergangen, und heute regiert eher der Zweifel als die Unbedarftheit von damals.    

2. Wie hat das angefangen, und wo siehst Du Dich mit Deine Netzwerk und Deiner Plattform heute?

Ich glaube, so seit 2007 bin ich im Netz unterwegs. Anfangs nur mit Rezensionen. Es war eine interessante, spannende Zeit, der Kontakt zwischen den Bloggern war angenehm. Man braucht viel Zeit, sich in ein Buch hineinzuknien, und da ich immer mehr Bücher zugeschickt bekam, wuchs der Bücherstapel und erdrückte mich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich wieder zu mir selber fand und damit aufhörte. Ich brauchte einen Ersatz und mit den KrimiMeldungen wollte ich für mich und andere einen Überblick schaffen. Immer im Hinterkopf: Welche Bücher werden von der Presse gelobt, welche kritisiert, welche sollte ich mir genauer anschauen.

3. Nach welchen Kriterien suchst Du die Werke aus, die Du genauer unter die Krimi-Lupe nehmen möchtest?

Oberstes Kriterium ist die Sprache. Ich sehe mir jeden Tag viele Leseproben von Neuerscheinungen an (amazon, Verlagsseiten, Buchhandlungen) und entscheide dann, welche Krimis für mich in Frage kommen. Bücher ohne angezeigte Leseproben kaufe ich nicht.

Generell versuche ich, Krimis mit Ermittlerfiguren hintenanzustellen. Ich habe zu viele Krimis gelesen, um von diesen Rätselkrimis überrascht zu werden. Das gelingt nicht immer, aber die Tendenz geht dorthin. Ebenfalls lasse ich skandinavische Krimis links liegen. Ich habe einfach zu viele gelesen.

Oft nehme ich mir vor, eine Rezension über einen Krimi zu schreiben. Nachdem ich die Hälfte gelesen habe, weiß ich, dass ich es sein lasse. Ich müsste zu viel kritisieren, und das will ich nicht mehr. Ich gönne allen den Erfolg, Autoren haben es schwer, vom Schreiben zu leben. Zunehmend suche ich Krimis aus dem Ausland, wo die Autoren international bekannt sind und Kritik nicht weiter stört.

Ich lese gerne Bücher von neuen Autoren, besonders Autorinnen, um zu sehen, welche Themen aufgegriffen werden und welche Weltsichten dahinterliegen. Kreative Ideen begeistern mich absolut. Das heißt nicht zwangsläufig, dass ich immer mit den Kritikern des gehobenen Formats übereinstimme. Manchmal schüttle ich den Kopf und kann ihre Urteile nicht nachvollziehen. Leider hat die Diskussionskultur in Deutschland nachgelassen, so dass fast nur noch positive Rezensionen erscheinen.

4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema, das Dich in Deiner Arbeit (in Deinem Leben) beschäftigt?

Ja, gibt es, aber dazu muss ich ein bisschen ausholen. Ich habe mal auf dem Gebiet der Sozialpsychologie gearbeitet, u.a. über die Herausbildung von Gruppenbeziehungen. Sich entwickelnde Beziehungen zwischen Menschen sind immer ein Thema für mich. Auch wenn es banal klingt, sich damit zu beschäftigen. Einmal hatte ich das Buch „Menschliche Kommunikation – Formen, Störungen, Paradoxien“ von Paul Watzlawick in der Hand. Es war für mich wie eine Offenbarung. Vielleicht sein bekanntester Satz: „Man kann nicht nicht kommunizieren!“, sagt schon alles.

Anhand von Dialogen hat er aufgezeigt, inwieweit die Beziehungen der Menschen bzw. ihre Kommunikation durch ihren Status bestimmt werden. Ich fand das phänomenal. Noch mehr hat mich seine Analyse des Theaterstücks von Edward Albee „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ beeindruckt. Es handelt von einem Ehepaar, das sich einen imaginären Sohn geschaffen hat, um ihre gescheiterte Beziehung aufrechtzuerhalten. Als einer von beiden den Sohn öffentlich sterben lässt, ist ihre Ehe zu Ende.

Wo wir bei der Literatur wären. Es hat mich überrascht, dass man Stücke schreiben kann, die weit weg von der Realität funktionieren. Ähnlich wie bei Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“, in der ein Strafgefangener eine Strafe von einem Automaten auf den Rücken tätowiert bekommt. So absurd war das, dass ich anfangs dachte ich, ich hätte mich verlesen.

Daran habe ich gelernt, was gute Literatur bedeutet, und dass man sich durchaus weit von der Realität entfernen kann, um dem Leser die Grausamkeiten und auch Schönheiten des Lebens nahe zu bringen. Nach meiner Auffassung gehört zur guten Literatur auch immer ein leichtes Schweben über den Boden der Tatsachen. Aber auch wie eine unterschiedliche Wahrnehmung von Wirklichkeit das jeweilige Handeln bestimmt, gehört nicht nur zu den immerwährenden Themen in der Literatur, es zeigt auch, wo die Wurzeln, ohne sich an harten Fakten zu orientieren, zu suchen sind.

5. Welche literarischen Vorbilder bzw. Lieblingsautoren hast Du?

Alle, die gut schreiben können, sind meine Vorbilder. Gute Schriftsteller kriegen einen sprachlichen Fluss hin, den man nicht so leicht nachahmen kann.

Ich lese gern Krimis aus dem asiatischen Raum. Ich denke, in fremden Kulturen treten durch die Außensicht Konflikte schärfer hervor. Ebenso bei asiatischen Filmen. Aber das würde den Rahmen sprengen. Ich mag Fuminori Nakamura aber auch Jeong Yu-Jeong, und Filme wie z. B. Oldboy, in dem ein Mensch von Unbekannten entführt und für 15 Jahre in ein Zimmer gesperrt wird. Verrückt, aber schlüssig erzählt. 

Im deutschsprachigen Raum lese ich gern Bücher von Willi Achten. Wegen der Sprache. Auch Norbert Gstrein. Wegen der Themen. Ich kann mich für viele Autoren begeistern. Das hängt von den Neuerscheinungen ab, die ich gegenwärtig auswähle.

6. Woran machst Du gutes Schreiben, gute Schriftstellerei fest? Und/oder alternativ: Wie lautet Dein Lieblingssatz?

Mein Lieblingssatz: Ilse Bilse salzte nach. Nein Scherz, ich habe keinen Lieblingssatz. Für mich gibt es im Krimi neben der Stilistik zwei Positionen, auf die ich achte. Das sind die Figurenzeichnung und der Plot. Den Figuren gehört der Vorrang. Der Plot dient der Entwicklung der Figuren. Eine große Aufmerksamkeit lege ich auf das Ende. Manchmal inspiriert mich ein Krimi nicht geradeso, dass ich hochspringen könnte, aber wenn das Ende stimmig rüberkommt, freue ich mich an der Originalität. Das Ende gut hinzubekommen ist am schwersten. Oft denke ich darüber nach, ob es sinnvoll ist, am Ende einen einsamen Menschen in einem trostlosen Zimmer zurückzulassen oder ihn neben einen Berg von Toten zu setzen, um beim Leser ein Erschrecken über die Welt hervorzurufen. Ich frage mich, ob nicht am Ende doch ein Stück Menschenfreundlichkeit durchblitzen sollte. Und wenn jemand nur mit einem Hund zusammenlebt. Literatur muss im Kernpunkt menschenfreundlich sein. Das beschäftigt mich schon. Meine Meinung insgesamt: Wenn ich vierzehn Tage nach dem Lesen noch über einen Krimi nachdenke, ist er für mich gelungen.

7. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Dich?

Ich weiß nicht, wo für Dich der Zeitgeist zu finden ist, dass man sich darüber unterhalten könnte. Identität? Klimawandel? Zwei Antworten. Wenn es zur Identitätsfindung junger Menschen gehört, sich die Deutungshoheiten gegenseitig abzuerkennen, dann nehme ich das zur Kenntnis. Die junge Generation muss ihre Felder finden, über die sie sich streiten will. Das sind nicht meine Themen. Anders verhält es sich mit der Frage des Klimawandels. Ich denke Straßenproteste und Klebefinger auf der Straße werden nicht ausreichen. Meines Erachtens wäre es sinnvoller, die Sache nach vorn gerichtet anzugehen. Das Interesse der Jugend muss in kreativen Antworten liegen, die man gewinnt, wenn den Schülern schon in der Schule ein Verantwortungsgefühl für die Erhaltung der Erde anerzogen wird, dass sie später ermuntert, naturwissenschaftliche Fächer zu studieren, um mit ihrem Wissen Auswege zu finden.           

8. und 9. Woran arbeitest Du zurzeit, insbesondere mit Blick auf das eigene Schreiben? Was würdest Du Dir für die Krimiplattform, und was für Dein eigenes Schreiben wünschen?

Zurzeit arbeite ich gar nicht. Ich bin mit meinem Krimi fertig. Was wünscht man sich da? Einen Verlag, der das Buch veröffentlicht? Für die Zukunft denke ich über einen Thriller nach. Alles worüber ich bisher die Nase gerümpft habe, möchte ich selbst durchleben. Mit heftigen Wendungen durch die Geschichte jagen. Was ich mir für die Krimiplattform wünsche? Eine Totalauffrischung. Komme ich leider im Sommer nicht dazu.

10. Welche Frage würdest Du Dir überdies gerne zum Abschluss selber stellen?

Es gibt nur eine Frage, die ich mir jeden Tag stelle: Wann wird es einen Frieden in Europa geben?

Liebe Henny Hidden, vielen Dank für das schöne Gespräch!

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