10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Constanze Scheib

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17. Juli 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit der Schriftstellerin Constanze Scheib.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht die österreichische Autorin und Kriminalschriftstellerin Constanze Scheib. Sie kommt ursprünglich aus dem Schauspiel, hat zunächst jahrelang auf Theaterbühnen in Österreich gespielt und später erst mit dem Schreiben begonnen, zunächst in Form von Erzählungen, Theaterstücken, dann zunehmend umfangreicher und auch kriminalistischer. Inzwischen blickt sie auf eine ausgewachsene Krimireihe. Constanze Scheib lebt mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Wien und ist Mitglied der Mörderischen Schwestern.  

Die gnä‘ Frau ermittelt

1. Wie sind Sie zum Schreiben gekommen, und weshalb der Krimi als Lieblingsgenre?

Rückblickend ist es immer spannend, die Kette der Lebensentscheidungen nachzuvollziehen. Ursprünglich, ich muss so 15 gewesen sein, wollte ich unbedingt Regisseurin werden. Ich war schon als Kind ein richtiger Filmnerd, verschlang mit Begeisterung alte Klassiker sowie moderne Blockbuster, und hatte mir vorgenommen, selbst einmal solche Meisterwerke zu schaffen. Mir wurde dazu geraten, Schauspielunterricht zu nehmen – wenn ich das Handwerk beherrschte, könnte ich besser mit Schauspielern zusammenarbeiten. Eines führte zum anderen und obwohl ich mich auch als Regisseurin und Produzentin unter Beweis stellen konnte, war die Schauspielerei meine große Leidenschaft.

Viel später wurde ich Mutter von 3 Kindern und das täglich bis spätnachts auf der Bühne stehen wurde immer kräftezehrender. Ich beschloss, meine Kreativität erstmal von zu Hause aus auszuleben – als Schriftstellerin. Genau betrachtet war das der logische nächste Schritt in meinem Leben. Das Schreiben verbindet sowohl Regie als auch Schauspiel. Ich bin die Spielleiterin, muss ein Szenario erschaffen, in dem sich die Figuren bewegen, muss es mitunter spannend, unterhaltsam, berührend gestalten. Gleichzeitig muss ich mich in meine Figuren hineinversetzen können, sie so agieren lassen, dass es natürlich, authentisch und nachvollziehbar für die Leser ist. Ich fühle mich als Autorin nicht nur gut aufgehoben, sondern auch erfüllt und finde es aufregend, ständig dazu zu lernen.

Ich lese unterschiedliche Genres und schreibe auch in so einigen, aber meine Liebe gilt eindeutig Horror und Krimi. Ich kann mich noch erinnern, wie ich als kleines Kind auf dem Bett meiner Mutter gekniet und fasziniert ihr Bücherregal betrachtet habe. Darin waren hauptsächlich schwarzrote Ausgaben und die Autorin war immer dieselbe: Agatha Christie. Ich denke, so wurde der Grundstein für meine Krimiliebe gelegt.

2. Die gnä’ Frau, nämlich Frau Ehrenstein, ist die Protagonistin Ihrer Kriminalromane. In welchem Verhältnis stehen Sie zu ihr?

Ich mag sie und das ist schon einmal eine gute Voraussetzung, wenn man plant längere Zeit mit einer Figur zu verbringen. Vor allem finde ich sie nicht langweilig, sie überrascht mich immer wieder und hat noch genug Raum sich weiterzuentwickeln. 

Frau Ehrenstein ist mit ihren 32 Jahren noch verhältnismäßig jung, sie ist aber in so einem traditionsbewussten und konservativen Umfeld herangewachsen, dass ihr Verhalten oft älter wirkt. Wir lernen sie an einem Wendepunkt in ihrem Leben kennen – um die Morde in ihrem Viertel aufzuklären, muss sie aus ihrer Blase ausbrechen und in die richtige Welt hinaus. Das ist für sie ein Abenteuer, das auch mit Gefahren und viel Selbsterkenntnis verbunden ist. Und mit Sicherheit ist sie am Ende nicht mehr dieselbe wie zu Beginn der Geschichte. Ihre Neugier, ihr Bemühen dazuzulernen und den Horizont zu erweitern sind Eigenschaften, die ich sehr an ihr schätze. Übrigens teile ich ihre Leidenschaft für Whisky und Filme, allerdings fehlt mir, im Gegensatz zu ihr, jegliches Modeverständnis (und eine Villa mit reichlich Dienerschaft).

3. Wie arbeiten Sie an Ihren Krimis, wie betreiben Sie Recherche, wie bestimmen Sie das Personenkarussel?

Bei all meinen Texten gibt es zuerst eine Idee – von einer Figur, einer Szene, einem Thema, einem Gefühl, einem Ort – und darum herum entsteht der Rest der Geschichte. Ich wollte ein Buch über Wien und Frauenfreundschaften schreiben und dabei herausgekommen ist „Der Würger von Hietzing“. Darüber hinaus gibt es bei der Gnä‘ Frau-Reihe ein paar Eckpunkte, die ich beachten muss: In welchem Bezirk bzw. welchem Viertel spielt es, welchen historischen Mordfall könnte ich verwenden, in welchem Jahr und in welchen Monaten spielt die Handlung, was war da gerade politisch und gesellschaftlich Gesprächsthema, wie geht Frau Ehrensteins Privatleben weiter? Außerdem muss ich die Vorlieben und Hobbys der gnä‘ Frau bedienen: Welche Filme, welche Whiskys, welche Lieder konnte sie zu dem Zeitpunkt genossen haben, was war gerade populär? Und weil ich mich nicht wiederholen möchte, muss ich auch im Auge behalten, was ich von all dem bereits verwendet habe.

Die Recherche ist eine Kombination aus Büchern, Dokumentarfilmen und Archivaufnahmen, Internetrecherche und Gesprächen mit Personen, die die frühen 70er–Jahre in Wien erlebt haben oder sich in einem speziellen Fachgebiet auskennen, das ich gerade benötige. Außerdem bin ich in den Vierteln und Gebäuden unterwegs, die eine Rolle spielen, damit ich akkurate Ortsbeschreibungen liefern kann.

Die größte Freude macht mir das Personenkarussell: Was ist der Hintergrund meiner Figur, was versucht sie zu verbergen, wie hat sie ihre Kindheit verbracht, hat sie eine besondere Art zu sprechen, spezielle Gesten, wie kleidet sie sich? Dann ist natürlich die Frage, wie sich die Figuren zueinander verhalten. Welche Charaktere ich zusammen in den Ring werfe und welche Spannungsfelder dabei entstehen.

Zum Beispiel sind Frau Ehrenstein und ihr Dienstmädchen Marie komplett unterschiedlich aufgewachsen und zwischen ihren Lebensrealitäten liegen Welten. Dennoch finden sie auf einer persönlichen Ebene zusammen, lernen sich zu respektieren und zu schätzen.

4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema, das Sie in Ihrer Arbeit beschäftigt?

Ein Thema, das sich sicherlich durch alle meine Geschichten zieht, ist der Blick auf menschliche Beziehungen. Ganz gleich, ob es romantische, körperliche, familiäre oder freundschaftliche sind. Interaktionen mit anderen Personen beeinflussen uns. Gefühle für andere – ob positive oder negative – können uns verändern. Für mich ist das interessant, unbegrenzt und universell, also perfekter Nährboden für Inspiration.

5. Welche literarischen Vorbilder haben Sie?

Wie schon erwähnt, war Agatha Christie sicher einer meiner frühesten Einflüsse. Dorothy Sayers, Minette Walters, Elizabeth George und Patricia Highsmith fügen sich danach nahtlos in die Reihe der Kriminalschriftstellerinnen ein, für die ich mich schon früh begeistern konnte. Melanie Raabe und Meg Gardiner sind Autorinnen aus der jüngeren Vergangenheit, die es meisterhaft verstehen Spannung zu erzeugen. Aber ich lese auch sehr gerne andere Genres und finde dort literarische Vorbilder, wie Stephen King, Clive Barker, Matt Wallace, Paul Tremblay oder Neil Gaiman.

6. Was macht für Sie gutes Schreiben, gute Schriftstellerei aus? Und/oder alternativ: Wie lautet Ihr Lieblingssatz?

Wenn ich mich als Leser direkt in einer Geschichte wiederfinde, wenn ich durch die Augen der Figuren mitlebe, wenn ich alles spüren, hören und riechen kann, wenn ich mich also direkt in einer Szene befinde und mehr als nur distanzierter Zuschauer bin, dann wurde für mich alles richtiggemacht.

Als Teenager habe ich das erste Mal Tom Stoppards „Rosencrantz and Guildenstern are Dead“ gelesen und an einen Satz – ganz am Ende, kurz bevor sie gehängt werden – muss ich immer wieder denken: “There must have been a moment, at the beginning, where we could have said: No. But somehow we missed it.”

7. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Sie, und unterscheidet er sich in Deutschland von dem in Österreich?

Für eine Reihe, die Anfang der 70er spielt, war es für mich wichtig, eine Ahnung von dem damaligen Zeitgeist zu bekommen. „Eine Insel der Seligen“ hat der Papst Österreich 1971 angeblich genannt. Aber war alles wirklich so geruhsam? Ein kleines, neutrales Land zwischen den verfeindeten Osten und Westen, wirtschaftlicher Aufschwung, ein sozialistischer Bundeskanzler. Die Mode wird gewagter, ebenso wie die Musik. Filme, Theaterstücke und auch das Fernsehen werden von einer neuen Generation geprägt, die die ausgetretenen Pfade verlassen möchte. Die Jugend wehrt sich gegen das Establishment, Frauen verlangen ihr Recht zur körperlichen Selbstbestimmung, ein Großteil der Bevölkerung möchte am liebsten die Nazivergangenheit verdrängen. Alles in allem eine spannende Mischung. Allerdings ist die explosive Stimmung, wie sie zu der Zeit in Deutschland geherrscht hat, nicht wirklich nach Österreich übergeschwappt.

Grundsätzlich aber habe ich das Gefühl, dass der österreichische und der deutsche Zeitgeist aufgrund der geographischen, kulturellen und sprachlichen Nähe, viele Gemeinsamkeiten haben.

8. Woran arbeiten Sie zurzeit?

Zurzeit schreibe ich an den letzten Kapiteln für den 3. Gnä‘ Frau Krimi. Ein spannendes Unterfangen, da ich in den vergangenen Monaten viele Rückmeldungen von Lesern für den ersten Teil bekommen und gerade die letzten Korrekturen für „Keine schöne Leich“, den zweiten Teil, abgegeben habe. Ich schreibe nun nicht mehr in einem Vakuum, in dem nur eine Handvoll Menschen die gnä‘ Frau kennen, sondern habe auch gewisse Erwartungen zu erfüllen.

Daneben arbeite ich an einem sehr persönlichen Roman über Trauer, Abschied nehmen und Annäherung der Generationen. Doch das braucht seine Zeit und die bin ich auch gewillt dem Projekt zu geben.

9. Was würden Sie sich für Ihr eigenes Schreiben wünschen?

Dazu möchte ich einen Titel der wunderbaren Virginia Woolf zitieren: Ein Zimmer für mich allein. Eines, in das ich mich zurückziehen kann, in dem ich schreiben kann, in dem ich nachdenken kann. Das wäre ein großer Wunsch, der mein Schreiben enorm bereichern würde.

10. Welche Frage würden Sie sich überdies gerne zum Abschluss selber stellen?

Wie lang kannst du dir vorstellen, die Gnä‘ Frau-Reihe weiterzuführen?

Vorausgesetzt man lässt mich, hätte ich noch für zehn weitere Bände Ideen. Die 70er geben historisch viel her, vor allem aber habe ich mit Frau Ehrenstein und den Figuren um sie herum noch so einiges vor. Ich merke, dass nicht nur die gnä‘ Frau mit jedem Band wächst, sondern auch ich. Ich würd gern sehen, wohin das führt.

Liebe Constanze Scheib, vielen Dank für das schöne Gespräch!

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