10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Susanne Scharnowski

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29. Juni 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit der Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski.

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht die Literatur- und Kulturwissenschaftlerin Susanne Scharnowski. Die studierte Germanistin und Anglistin arbeitete zunächst als DAAD-Lektorin für deutsche Sprache und unterrichtete Literatur und Kultur in Großbritannien, Taiwan und Australien, bevor sie für Forschung und Lehre an die Freie Universität Berlin gegangen ist. Seit vielen Jahren arbeitet sie dort insbesondere zur deutschen Kulturgeschichte. Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt liegt auf dem Spannungsfeld von Heimat und Landschaft, dazu hat sie jüngst auch ein vielbeachtetes Sachbuch publiziert.

Die Erforscherin literarischer Kulturlandschaften

1. Sie sind Literatur- und Kulturwissenschaftlerin und beschäftigen sich mit kulturellen Lebensräumen und ihre Wirkung auf Heimat. Worin besteht die Verbindung Ihrer Forschungsschwerpunkte zur Sprache?

Sprache und Kultur sind zwar nicht identisch, aber untrennbar: Alle, die mehrere Sprachen gut beherrschen, wissen, wie schwer es ist, die Bedeutungsschichten und -facetten bestimmter Wörter, Begriffe, Redewendungen, Idiome in eine andere Sprache zu übertragen. Wie sehr sich Kultur und Geschichte in der Sprache ablagern und wie komplex der Prozess des Verständnisses anderer Kulturen und Sprachen tatsächlich ist, das wird einem natürlich besonders deutlich, wenn man die eigene Sprache als Fremdsprache unterrichtet. Diese Erfahrung des Blicks von außen auf die eigene Kultur und Sprache prägt meine Arbeit seit 30 Jahren. Man bemerkt dann einerseits relativierende Effekte: was man vielleicht zuvor für einzigartig hielt, wie etwa die angeblich so nur in Deutschland vorkommende Wertschätzung von ‚Heimat‘, erweist sich im Vergleich von Kulturen als lediglich spezifische Ausprägung eines durchaus auch jenseits von Landesgrenzen verbreiteten Phänomens. Andererseits wird einem auch bewusst, wie kompliziert und sonderbar aus der Außenperspektive manch andere Kulturspezifika erscheinen, wie etwa die kulturelle Bedeutung, die in Deutschland dem Wald beigemessen wird. Insofern ist die Art von kulturgeschichtlicher Untersuchung, die ich mit der ‚Heimat‘ unternommen habe, ohne diesen gebrochenen Blick auf die eigene Kultur, den ich im Lauf meiner Lehrerfahrung gewissermaßen verinnerlicht habe, gar nicht denkbar.

2. Sie wandeln zwischen Literatur, Sprache und Kulturwissenschaft. Empfinden Sie die Übergänge als fließend, worin bestehen klare Abgrenzungen, und inwiefern unterscheiden sich die Motive in den verschiedenen Genres?

Vor allem wandle ich wohl zwischen Literaturwissenschaft und Kulturgeschichte, wobei ich im strengen Sinne in meinem Studium nur als Literaturwissenschaftlerin ausgebildet wurde – mein Wissen und meine Gedanken über Architektur, Film, Kunst- und Mediengeschichte basieren auf eigenen Studien. Der andere, wichtigere Unterschied aber besteht oder bestand zumindest über lange Zeit hinweg darin, dass (germanistische) Literaturwissenschaftler sich in der Regel nicht oder kaum mit Populärkultur befassten, sondern in allererster Linie mit Hochkultur. Wir beobachten allerdings da einen Veränderungsprozess: Jetzt gibt es vermehrt auch Forschung und auch Lehrveranstaltungen zu ‚Graphic Novels‘, Deutschrap und der Erzählstruktur von Computerspielen oder Fernsehserien. Aber als trivial geltende Genres wie die Heimatromane des ausgehenden 19. Jahrhunderts oder die Heimatfilme der Nachkriegszeit, mit denen ich mich in meinem Buch ausführlicher beschäftigt habe, hätten, so jedenfalls meine Vermutung, auch heute in der Literaturwissenschaft einen schweren Stand. Aus kulturgeschichtlicher Perspektive allerdings sind diese Phänomene ausgesprochen ergiebig.

3. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema in Ihrer vielschichtigen, Disziplinen übergreifenden Arbeit?

Dazu muss man vermutlich stark abstrahieren. Aber dann könnte es sein, dass es tatsächlich solche Themen gibt, vor allem: ‚Wahrnehmung‘ (Sinneswahrnehmung, Aisthesis), ‚Übersetzung‘ (von Kultur, von Wahrnehmung in Sprache), ‚Identität‘ (personale/ kulturelle) und ‚Umwelten‘.

4. Ihre Arbeit hat auch starke eine (kultur-)politische Komponente. Gibt es für Sie das Problem der politischen Vereinnahmung, oder stellt sich Ihnen diese Frage so nicht?  

 Also, meines Wissens sind meine Gedanken zur Heimat bisher politisch nicht vereinnahmt worden. Und das dürfte auch schwierig sein. Politische Kommunikation, politische Rede tendiert ja immer mehr oder weniger zwangsläufig einerseits zu politischer Zuspitzung und Eindeutigkeit, andererseits aber auch zu bewusster Vieldeutigkeit. Heimat ist in der politischen Rede sowohl ‚Stigmawort‘ – meist von links – als auch ‚Fahnenwort‘ – meist von rechts, wobei auch dies nicht immer so war: In meinem Buch gehe ich z.B. auf die 1970er Jahre ein, als ‚Heimat‘ und ‚Provinz‘ im Zusammenhang mit der Umweltbewegung und der Philosophie Ernst Blochs vorübergehend zu Schlagwörtern der Linken wurden. Mein Ziel war es aber vor allem, die Vielschichtigkeit und Komplexität des Wortes transparent zu machen und einige der zahlreichen Missverständnisse im öffentlichen und politischen Diskurs auszuräumen. Also, Vereinnahmung eher nicht; mir ist allerdings durchaus zum Vorwurf gemacht worden, dass ich gute Argumente für die Legitimität des Wortes sehe, dass ich es für falsch halte, das Wort zu verteufeln oder zu tabuisieren und dass ich mich eher auf die Seite der ‚somewheres‘ als auf die der ‚anywheres‘ schlage.

5. Welche kulturwissenschaftlichen Vorbilder, welche publizistischen Vorbilder haben Sie?

Beeindruckt und direkt oder indirekt beeinflusst haben mich zum einen die kulturgeschichtlichen Publikationen von Wolfgang Schivelbusch über die Geschichte der Eisenbahnreise, der Genussmittel und der elektrischen Beleuchtung; zum anderen die Publikationen des Kulturwissenschaftlers Kaspar Maase, und zwar sowohl inhaltlich als auch stilistisch. Was den Stil angeht, so war ich zudem immer eine große Bewunderin von Odo Marquard und Sigmund Freud. In den letzten Jahren waren es vorwiegend englischsprachige Texte auf der Grenze zwischen den ‚zwei Kulturen‘ der Natur- und Geisteswissenschaften, zwischen Sachbuch und Literatur, die mich stark beeindruckt haben, z.B. Gilbert Whites ‚The Natural History of Selborne‘ (1789), Rachel Carsons ‚Silent Spring‘ (1962) und gerade im Moment Melanie Challengers ‚On Extinction‘ (2011). Als ich jünger war, wollte ich aber vermutlich immer so schreiben wie die Theoretiker oder Autorinnen, mit denen ich mich gerade beschäftigte; da gab es verschiedene Phasen. Heute hoffe ich, dass ich meinen eigenen Stil gefunden habe.

6. Was macht für Sie gutes Schreiben, gute Schriftstellerei, gute Sachbucharbeit aus? Und/oder alternativ: Wie lautet Ihr Lieblingssatz?

Gute nicht-literarische Texte sind für mich kristallklar, transparent, nachvollziehbar, überzeugend und kohärent argumentiert und basieren auf eingehender Recherche. Sie sind nicht Vehikel für Autoreneitelkeit, wollen also nicht in jedem Satz beweisen, wie geistreich, gebildet und belesen der Autor oder die Autorin ist. Gute nicht-literarische Texte machen es den Lesern nicht zu schwer, wollen sie aber auch nicht manipulieren. Gute Texte haben was zu sagen. Gutes Schreiben bedeutet Mühe, die man den Texten aber nicht ansehen sollte. Gutes Schreiben bedeutet auch: viel streichen. Das habe ich allerdings bei einem Literaten gelesen, und zwar bei Anton Tschechow.

7. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für den Heimatbegriff, und welche Rolle spielt er für Sie persönlich?

Zunächst mal: Ich denke, ‚Heimat‘ ist eben kein Begriff, sondern ein sehr stark emotional grundiertes Wort, das überhaupt keine scharf umrissene Bedeutung hat, nicht eindeutig definiert werden kann, dafür aber unweigerlich Gefühle auslöst. Jede Person hat eigene Ideen, eigene Definitionen, eine eigene Meinung dazu, was Heimat bedeutet. Das macht es ja so kompliziert. Und weil das so ist, gibt es natürlich immer neue und andere Heimatmoden, die stark vom jeweiligen Zeitgeist geprägt sind. An medialen Diskursen, die ich eingehend verfolge, sieht man das ganz deutlich. Besonders auffällig in jüngster Zeit war eine ‚Wende‘ im Jahr 2020. Nachdem es seit Seehofers Idee, das Innenministerium als Heimatministerium zu bezeichnen, eine schier unüberschaubare Menge an Artikeln, Interviews, Essays und anderen Interventionen gegeben hatte, die sich ausgesprochen kritisch mit dem Wort auseinandersetzten, bis hin zu Forderungen, das Wort ganz aufzugeben und „dem rechten Rand zu überlassen“, wurden plötzlich im Zuge der diversen Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus das ‚Zuhausebleiben‘ und die Heimat medial beinahe pathetisch gefeiert. Etwas Ähnliches sehen wir derzeit, wenn die Medien den Ukrainern, die ihre Heimat verteidigen oder über ihre Heimatliebe sprechen, Respekt und Anerkennung zollen. Besonders faszinierend finde ich daran, dass solche Wandlungen oftmals kaum wahrgenommen zu werden scheinen.

Als ich an dem Buch arbeitete, habe ich natürlich auch darüber nachgedacht, ob Heimat für mich wichtig ist und was es für mich überhaupt bedeutet. Aber jetzt, nach Jahren intensivster Beschäftigung mit dem Wort, kann ich eigentlich nur Karl Kraus zitieren: „Je näher man ein Wort anschaut, desto ferner schaut es zurück.“

8. Woran arbeiten Sie zurzeit?

An der Frage, welches Buch ich als nächstes schreibe – ich kann mich nicht recht entscheiden. Es gibt verschiedene Themen, die ich gern noch bearbeiten möchte, vor allem zwei. Eines ist ‚Ambivalenz‘; ein anderes ist die Bedeutung des Materiellen, Stofflichen. Würde ich auf Englisch schreiben, hätte ich schon einen Titel: „Matter matters“. Auf Deutsch suche ich noch danach

9. Was würden Sie sich für Ihr eigenes Schreiben wünschen?

Mehr Zeit. Ich nehme die Lehre sehr ernst; daher bleibt während der Vorlesungszeit meist nicht genug Zeit für die eigene Forschung und fürs Schreiben.

10. Welche Frage würden Sie sich überdies gerne zum Abschluss selber stellen?

Das ist eine schöne und ziemlich schwierige Frage. Eine Frage, die ich mir im Moment selbst oft stelle, betrifft die Lehre: Wie kann ich gutes Schreiben lehren? Kann ich das überhaupt lehren? Es wird mir immer wichtiger, denn schreiben ist ja eng mit der gedanklichen Durchdringung von Themen und Stoffen verbunden. Eigentlich haben wir dafür aber keine Methoden und auch nicht die richtigen universitären Strukturen (z.B. die Größe der Lehrveranstaltungen), und vielleicht denken wir in den Wissenschaften auch nicht genug darüber nach. In dieser Hinsicht hat mich meine Zeit an der Universität Cambridge stark beeindruckt. Dort gab es märchenhafte Bedingungen: Die Studenten mussten alle zwei Wochen einen Essay schreiben, der dann in sehr kleinen Gruppen oder Sprechstunden ausführlich besprochen wurde; zudem wurden Fragen darüber, wie gute studentische Essays beschaffen sein müssen, im Kollegium ausgiebig erörtert. Gewiss ist das nicht reproduzierbar. Aber mehr Verständigung und Auseinandersetzung darüber, was gute Texte und gutes Schreiben ausmacht und wie dies geübt werden kann, das wäre durchaus machbar und in jedem Fall wünschenswert.

Liebe Susanne Scharnowski, vielen Dank für das schöne Gespräch!

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