10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Carsten Schmidt

Hinterlasse einen Kommentar

28. Juni 2022 von ibohnet

Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit dem Texter Carsten Schmidt.

Carsten Schmidt (rechts) und Ilja Bohnet in der Zeit, als sie an ihrer Idee zu dem ›Literarischen Spätkauf‹ bzw. den ›Literatten in FH‹ gesponnen haben…

Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht der Texter, Lektor und Autor Carsten Schmidt.  Nach einem Studium der Germanistik, Anglistik und Geschichte an der Universitäten Rostock und Bradford in UK, und der anschließenden Promotion in Literaturwissenschaft war Schmidt zunächst als freier Lektor, Texter und Übersetzer in Berlin für verschiedene Verlage und Auftraggeber tätig, darunter der Europa Verlag oder die Schweizer Edition Clandestin. Zudem betrieb Carsten Schmidt beim Kabarett-Portal stoersender.tv die Kolumne „morgenstoern“, und er verfasste viele Hundert Rezensionen für Kulturmagazine, auch Gedichte und Kurzgeschichten, von denen einige Aufnahme in Anthologien fanden. Später zog Carsten Schmidt mit Familie nach Görlitz, wo er seitdem als Lehrer an einer Oberschule arbeitet. Doch Schmidt ist nach wie vor belletristisch tätig. 2018 erschien sein erster Roman „Ausgekafkat“ im Drava Verlag.

In dieser Zeit hatten Schmidt und der Verfasser des vorliegenden Blogs die Überlegung, einmal monatlich ein Literatur-Café zu betreiben, um als Moderatorenteam Schmidtbohnet jeweils eine Autorin oder einen Autor aus Friedrichshain in Berlin and beyond vorzustellen – das Ganze als ›trashiges Happening‹ im Café Helga in der Straßmannstraße, kurzweilig und interessant. Daraus ist aus verschiedenen Gründen leider nichts geworden (wie sich in dem Blog-Beitrag hier nachlesen lässt). Aber in gewisser Weise greift die Gesprächsreihe „10 Fragen zum Tatmotiv“ die Idee des ursprünglich geplanten Literatur-Cafés auf und knüpft daran an, und dies ist auch Carsten Schmidt zu verdanken.

Der Textarbeiter

1. Ich freue mich sehr, lieber Carsten, dass wir uns in dieser Gesprächsreihe auf meinem Blog wiederbegegnen. Gehen wir sogleich in medias res: Weshalb schreibst Du?

Warum blubbert ein Vulkan? Warum rauscht das Meer? Es gibt Kräfte, die in einem schäumen und summen und vor sich hin singen wie die Blätter an Pappeln an der Ostsee, die nie stillhalten. Irgendwie ist es so in meinem Kopf. Ich bin zwar ruhig, aber in meinem Kopf sind viele Geschichten. Es beruhigt mich, sie aufzuschreiben, ich kann sie dann besser vor mir sehen und sie stimmiger polieren.

2. Wann hat Dein Schreiben angefangen?

Tagebücher scheinen eine irgendwie natürliche Art der Kommunikation mit sich selbst zu sein. Man findet eine Ebene, zehnjährige, zwölfjährige finden auf allen Kontinenten Wege, sich einen Ort zu schaffen, um zumindest mit Zeichnungen, Basteln oder eben kleinen oder größeren Tagebuchähnlichen Einträgen sich etwas von der Seele zu schreiben, aber so, dass es meist geheim ist. Ein Ort, den andere nicht sehen. So war es bei mir auch. Geplappert habe ich zwar draußen, aber das, was ich geschrieben habe, waren völlig andere Welten mit anderer, ja Koloratur, würden die Musiker sagen. Das kam ganz woanders her. Und das ist wohl auch nicht schlimm, dass dann viel verbrannt und nicht veröffentlicht wird, es ist ein therapeutisches Rausrotzen von Heranwachsenden.

3. Wie arbeitest du?

Ja, tatsächlich eher vulkanisch-eruptiv, würde ich sagen. Einiges ist ein bisschen Auftrag, aber, wenn wir über das „literarisch“ eigene reden, dann wirklich abwartend, bis wieder etwas raus will. Egal, wie, wann, wo. Ich habe mit meinem guten Freund Pavel Schmidt zwei Mal im Schweizer Schnee geschrieben, anders kann man es nicht sagen, rund herum nur Schnee, kein Empfang, kein Nix – da habe ich 15 Kurzgeschichten in drei Tagen geschrieben. Also sich in Schreib-Umgebung bewusst zu bewegen, kann unglaublich helfen.

4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema in Deinem Schreiben?

Gute Frage. Tja, ich glaube, dass ich eher handwerklich immer ähnlich arbeite, nämlich ziemlich nahe dran, mit der Kamera wenige Meter zwischen den Figuren oder auf der Schulter oder im Kopf. Die Themen sind zwischenmenschliche, manchmal gesellschaftliche im Untergewebe, aber das wechselt zwischen vielen Themen.

5. Welche literarischen Vorbilder hast Du?

Hmm, da tu ich mich etwas schwer, weil ich so viele nennen könnte aus so vielen Ländern und Epochen. Tatsächlich ist von den Kanon-Größen meiner Deutsch-Lehrerin keiner dabei. Die große gesellschaftliche Geste, das intellektuelle Erklären im humanistischen Essay mit erhobenem Helmut Schmidt-Gedächtnis-Zeigefinger von Goethe, Schiller, Lessing, mit zwölf Bedeutungsebenen, das liegt mir nicht. Eher das nahe dran, mit wohlwollendem Humor, wie Tucholsky, Marlowe/Shakespeare, Brecht, so diese Richtung. Von der handwerklichen Art, Geschichten zu bauen – sicher Leute wie Khaled Hosseini, Mirjam Pressler, Robert Menasse.

6. Was macht für Dich gutes Schreiben aus?

Hmm, also ich finde es oft beleidigend für den gesunden Menschenverstand, wenn in Krimis sich Ermittler banale Dinge erklären oder Forensiker sich gegenseitig beschreiben, wie lange welche Substanzen im Körper abgebaut werden o.ä., also Sachen, die sie sich niemals erklären müssten. Es ist einfach künstlich für die Zuschauer so gemacht. AutorInnen machen das manchmal auch, sie beschreiben haarklein jedes Telefonat, das Telefon klingelt, Person A schaut drauf, er nimmt ab, hört eine Stimme – und ich möchte dann oft einfach nur brüllen: „Jaaa, wir wissen, wie man telefoniert!“ So was ist eben einfach langweilig. Gut finde ich, wenn man realistisch schreibt, wie Menschen wirklich handeln würden, psychologisch nachvollziehbar. Und ich habe eben einen gewissen Hang zum Bodenständigen, Geschichten über Päpste und Könige sind nicht so meins.

Ich habe allerdings als Coach bzw. Lektor mit vielen Genres zu tun gehabt und Bücher betreut, die ich privat im Leben nicht gelesen hätte – und habe da eine gewisse Gelassenheit, aber auch Demut bekommen. Es gibt viele Geschmäcker und sehr viele haben ihre Berechtigung, mir muss das nicht immer gefallen.

7. Woran arbeitest du gerade?

Tja, ich habe gerade ein Begegnungsbuch mit einem syrischen Freund beendet, das erscheint bald. Dann würde ich gern an einem Episodenroman über Erschöpfung weiterschreiben, wenn ich nicht so erschöpft wäre. Und an einem Kinderbuch, was an der Neiße spielt.

8. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Dich?

Oh, das ist interessant. Ich glaube, da ich kein Fernsehen habe und wenig Zeitung lese, reagiere ich vielleicht weniger aufschnelle, akute Dinge und bin eher etwas langsamer unterwegs, in sanfteren Bögen. Wenn Zeitgeist meint, was gerade so ansteht, dann nehme ich das bestimmt irgendwie auf und verarbeite es auch bestimmt unbewusst, aber ich lege das nicht so super zentral programmatisch an, glaube ich. Die Themen, die sich so oft als „neu“ gerieren, sind ja ganz oft überhaupt nicht neu. Selbst moderne Themen wie meinetwegen Künstliche Intelligenz werden ja dennoch mit den Themen Vertrauen und Kontrollverlust verhandelt – also menschlich nicht neu.

9. Was würdest Du Dir für Dein Schreiben wünschen?

Hmm, ich glaube, dass ich meinen Frieden mit meinem Schreiben gemacht habe, auch wenn sich das anhört, als würde mein eigener Opa sprechen. Aber tatsächlich bin ich nicht unzufrieden mit mir. Es braucht alles seine Zeit. Ich finde Humor, ich finde Ideen, ich finde Stoffe zuhauf in meinem Kopf. Kommt Zeit, kommt Buch.

10. Welche Frage würdest Du Dir gerne zum Abschluss selber stellen?  

Ich würde gern einen Wunsch anhängen, als Frage formuliert: Können die Menschen da draußen, die Autoren wie viele Künstler sehr negativ abtun und künstlerische Arbeit an sich als gesellschaftlich wertlos ansehen, sich vielleicht mal ein paar Jahrzehnte um sich selbst kümmern?

Du wirst das ja wissen, dass es ein Balanceakt sein kann zwischen den Welten. Ich empfinde es jedenfalls oft als schmerzhaft, wenn man sich und seine Ideen, seine Kreativität verteidigen muss, was ein Fliesenleger bei seiner Arbeit vielleicht nie in dem Maße tun müsste. Es sollte Frieden herrschen gesellschaftlich und weniger Besserwisser, die das eine als „Arbeit“ akzeptieren und das andere als „nutzlosen Quatsch“ abtun.

Lieber Carsten Schmidt, vielen Dank für das schöne Gespräch!

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Trage deine Email-Adresse ein um Email-Benachrichtigungen über neue Bloposts zu erhalten.

Sachbücher

Krimis

Kurzgeschichten

Lesungen

%d Bloggern gefällt das: