10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Michael Büker
Hinterlasse einen Kommentar23. Juni 2022 von ibohnet
Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit dem Physiker und Publizisten Michael Büker.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht der Wissenschaftspublizist Michael Büker. Der diplomierte Physiker hat schon am Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg als Redakteur gearbeitet, um dann zunehmend und mit großer Begeisterung ins Getriebe der Wissenschaftskommunikation zu geraten. Inzwischen hat er eine Vielzahl von Sachbüchern für verschiedene renommierte Verlage geschrieben, und er ist auch in anderen Bereichen der Wissenschaftskommunikation sehr aktiv. Unter anderem betreibt er den Podcast Sag mal, Du als Physiker… zu verschiedenen Forschungsthemen.
Sag mal, Du als Physiker…
1. Du bist Physiker, hast in verschiedenen Wissenschaftsorganisationen gearbeitet: Was fasziniert Dich an Forschung, und welches Forschungsgebiet darunter am meisten?
Noch bevor ich das Physikstudium begonnen haben, haben mich die Astronomie, Kosmologie und Raumfahrt gefesselt. Sie waren es auch, die mir durch die schmerzhaften Teile des Studiums geholfen haben. Durch die Nähe zu DESY in Hamburg habe ich außerdem ein Herz für die Teilchen- und Beschleunigerphysik entwickelt. Und nicht zuletzt war die Friedensforschung in Hamburg eine hervorragende Gelegenheit, die physikalischen Aspekte von (hauptsächlich nuklearer) Rüstungskontrolle mit meinem Interesse für globale Politik zu verbinden.
2. Wann bist Du zur Wissenschaftskommunikation gekommen, und wie zum Bücherschreiben?
Während der Diplomarbeit habe ich Führungen für Besuchergruppen bei DESY gegeben. Es hat mich sehr erfüllt, die komplizierte Physik ansprechend und unter Einsatz meiner Stimme vor einem Publikum interessierter Laien zu erklären. Nach dem Abschluss habe ich gleich nebenan für die Redaktion von Welt der Physik (weltderphysik.de) gearbeitet und dort das Handwerk des wissenschaftsjournalistischen Schreibens und Podcastens erlernt. Außerdem habe ich mich auf der Science-Slam-Bühne ausprobiert, und wurde vermutlich bei einem dieser Auftritte von einer Verlags-Agentin gesehen, die mir meinen ersten Buchvertrag angeboten hat. Daraus entstand mein Erstlingswerk „Ich war noch niemals auf Saturn“ (2016), das inzwischen als „Die Nadel im Galaxienhaufen“ (2020) neu herausgegeben wurde.
3. Wie arbeitest Du beim Schreiben, worin besteht Deine Recherche, wie erarbeitest Du ein Manuskript?
Meist fange ich mit leicht zugänglichen und an die Allgemeinheit gerichteten Quellen an. Das können Podcasts oder Videos zum Thema sein, populäre Artikel oder die Darstellung beteiligter Institutionen an einer bestimmten Forschungsarbeit. Von dort gehe ich nach Möglichkeit gern weiter zu zeitgenössischen Berichten der Beteiligten oder ihrer Mitmenschen, und letztlich natürlich zu den wissenschaftlichen Primärquellen. Letztere sind, abhängig vom Jahrhundert, meist auf Englisch, Deutsch, Französisch, Italienisch oder Latein. Ich habe schon mit Quellen in all diesen Sprachen gearbeitet, was mir immer wieder große Freude macht. Moderne Review-Artikel oder Sekundärliteratur sind oft sehr hilfreich für die Bewertung früherer Forschungsarbeiten aus heutiger Sicht. Doch die Primärquellen selbst sind, vor allem im 19. Jahrhundert, ein nie versiegender Quell von Kuriositäten und Überraschungen. Diese Herangehensweise bei meiner Arbeit spiegelt sich auch im Quellenverzeichnis für mein jüngstes Buch „Was soll schon schiefgehen?“ wider, das online verfügbar ist: https://www.michael-bueker.de/schiefgehen/
4. Gibt es eine spezifische, immer wiederkehrende Fragestellung, die Dich in Deiner Arbeit besonders beschäftigt?
Am häufigsten hilft mir die Frage weiter: Was steckt hinter der Geschichte, die überall erzählt wird? Wo ist die Wahrheit komplizierter als in den Enzyklopädie-Artikeln zu lesen ist? Welche Irrungen und Wirrungen haben die Jahrzehnte und Jahrhunderte seit dem eigentlichen Geschehen glattgebügelt? Ich will nicht sagen, dass es mir regelmäßig gelänge, zu irgendeiner verblüffenden Wahrheit jenseits der bekannten Erzählungen vorzudringen und etwas völlig Neues zutage zu fördern. Aber ein interessanter Dreh findet sich so in fast jeder Gegebenheit in der Wissenschaftsgeschichte.
Zum zweiten hilft es mir bisweilen sehr, bei komplexen Zusammenhängen der Frage nachzugehen: Warum verstehe ich das nicht richtig? Liegt es an mir, oder sind die gängigsten Erklärungen womöglich unzureichend oder gar irreführend? Selbst eine physikalische Erklärung, die sich in fast jedem Schulbuch findet, lässt sich manchmal noch entscheidend verbessern. Meine Lieblingsbeispiele sind erstens die Gezeitenkräfte des Mondes auf die Erde: Warum zeigen selbst große Binnenseen keinen Tidenhub? Und zum zweiten die Funktionsweise eines Kühlschranks: Warum funktioniert er im Prinzip auch mit einem Kühlmittel, das seinen Aggregatszustand nicht ändert? Solche Fragen zu finden und ihnen nachzugehen, hat mir schon viel Erfüllung gebracht.
5. Welche Vorbilder im Sachbuchbereich oder in der Wissenschaftskommunikation hast Du?
Ich stoße immer mal wieder auf Sachbücher oder Artikel, deren AutorInnen mir unbekannt sind, und von denen ich denke: Wow, dieses Thema ist so gut erzählt, die Zusammenhänge sind so gut hergeleitet, es ist so packend geschrieben – ich wünschte, das könnte ich auch. Ein Beispiel ist „Black Hole“ von Marcia Bartusiak, ein weiteres ist „The Hunt for Vulcan“ von Thomas Levenson. Gemein haben diese Überraschungsfunde oft, dass sie von Englisch-MuttersprachlerInnen geschrieben sind – vielleicht gibt es eine Art erzählerische „secret sauce“, die uns Deutschen weniger leicht zugänglich ist.
In der deutschsprachigen Wissenswelt hat mich zuletzt „Den Klimawandel verstehen“ von Harald Lesch, Cecilia Scorza-Lesch und Katharina Theis-Bröhl von den Socken gehauen. Das Thema ist enorm stringent, von der Entstehung des Sonnensystems über das Verhältnis der verschiedenen Treibhausgase und ihrer Emissionsquellen bis hin zu politischen und technischen Lösungen durcherzählt. Eine großartige Arbeit!
6. Wie lautet Dein Lieblingssatz?
Ich mag es, komplexe Geschehnisse oder Entwicklungen zugleich kleinteilig, aber auch im Kontext eines möglichst breiten Überblicks über alternative Vorstellungen und Erklärungsmodelle zu beschreiben. Ich arbeite häufig an der Beschreibung historischer Experimente, und dort lauten Sätze die ich mag, etwa: „Obwohl das Versuchsergebnis eindeutig war, stand es im Widerspruch zu den damaligen Vorstellungen.“ – oder auch, beim Beschreiben eines Erkenntnisprozesses: „Doch diese Vermutung erwies sich als falsch.“
7. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Dich und Deine Arbeit?
Ich finde es gut, dass der Zeitgeist uns allen Beine macht, mehr Perspektiven zur Geltung zu bringen als die von europäisch stämmigen Männern aus der Oberschicht. Da gibt es noch viel zu tun und viel zu holen, denn die Welt profitiert von Vielfalt.
8. Woran arbeitest Du zurzeit?
An drei Podcasts, meinem ersten Kinderbuch mit einem tollen Verlagspartner, an einem Weiterbildungsprogramm für junge Forschende mit Luft auf Wissenschaftskommunikation (zusammen mit einer lieben Kollegin aus der Biologie), und erfreulicherweise wieder mehr bei Live-Veranstaltungen mit Publikum, die ich sehr vermisst habe!
9. Was würdest Du Dir für Dein eigenes Schreiben wünschen?
Noch mehr Übung darin, große Zusammenhänge und wissenschaftliche Geschichten, die sich über viele Jahre und Jahrzehnte entsponnen haben, ansprechend und spannend in Langform zu erzählen.
10. Welche Frage würdest Du Dir überdies gerne zum Abschluss selber stellen?
„Michael, gibt es etwas, wovon Du gern in einem Buch erzählen möchtest, aber noch keine Gelegenheit gehabt hast?“ – Ja! Ich möchte das genaue Thema nicht verraten, aber es hat mit der Raumfahrt zu tun. Wenn ich könnte, würde ich gleich mehrere Bücher darüber schreiben, weil schon die Recherche für mich die interessanteste Tätigkeit der Welt wäre, und ich sie problemlos über Jahre auswalzen könnte. Jedoch, es fehlt bislang an einem Verlag, der hieran ein ebenso großes Interesse hat wie ich!
Lieber Michael Büker, vielen Dank für das schöne Gespräch!
Kategorie: #bellartist, 10 Fragen zum Tatmotiv | Schlagwörter: Cecilia Scorza-Lesch, DESY, Harald Lesch, Katharina Theis-Bröhl, Kosmologie, Kosmos, Marcia Bartusiak, Michael Büker, physikalische Aspekte der Rüstungskontrolle, Raumfahrt, Teilchen- und Beschleunigerphysik, Thomas Levenson, Wissenschaftskommunikation