10 Fragen zum Tatmotiv – heute an Ole Frahm
Hinterlasse einen Kommentar28. Mai 2022 von ibohnet
Eine Gesprächsreihe mit Schriftstellern, Künstlern, Wissenschaftlern rund um das persönliche Motiv ihres kulturellen Schaffens. Heute mit dem Germanisten und Performance-Künstler Ole Frahm.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Blog-Beitrags steht der Germanist, Publizist und Performance-Künstler Ole Frahm. Der Ende der 1960er Jahre in Hamburg geborene Frahm tummelt sich auf vielen unterschiedlichen kulturellen Gebieten. Als Germanistik-Student an der Universität Hamburg war er maßgeblich beteiligt an der Gründung der Arbeitsstelle für Graphische Literatur (ArGL). Später begann seine Arbeit im Freien Radio des Freien Sender Kombinats FSK in Hamburg. Mit der Radio- und Performance-Gruppe LIGNA Radio Revolten hat Frahm diese Arbeit gewissermaßen professionalisiert und auf die Bühne gebracht. Seine Arbeiten zu Art Spiegelmans Graphic Novel „Maus – Die Geschichte eines Überlebenenden“ haben überdies internationale Beachtung gefunden.
Der Kulturguerillero
1. Du bist ein Tausendsassa und bewegst Dich mit Deinen Aktivitäten in verschiedenen Genres und Gattungen. Von Rezensionen (z. B. als Germanist u. a. im Bereich der Comics) bis zur Performance auf dem Gebiet der darstellenden Kunst. Was treibt Dich an zu diesen Aktivitäten?
Das weiß ich nicht. Vielleicht Freundschaft. Vielleicht die Hoffnung, das Zerstörerische, das unsere Gesellschaften prägt, ein wenig aufzuhalten oder auch nur zu unterbrechen. Dabei ist die größte Freude, wenn die Arbieten es vermögen, die Handlungsfähigkeit des Publikums zu erweitern und neue Handlungsräume zu eröffnen. In Bezug auf die wissenschaftliche Arbeit die phallogozentrischen Diskurse (hinsichtlich der Comics) aufzulösen.
2. Wann hast Du als Künstler angefangen zu arbeiten?
Je nach Zeitrechnung – Schreiben als Praxis der Selbstverständigung begann mit 14, aber heute, mit 54, würde ich sagen, dass ich mit vielleicht 34 angefangen habe, an Arbeiten beteiligt zu sein, die nicht nur in dem kleinen Umkreis meiner Freunde relevant waren.
3. Wie arbeitest Du gewöhnlich?
Im Kollektiv. Wenig, was ich mit LIGNA prodziere, würde ich alleine machen. Es geht nicht mehr darum, alleine zu schreiben oder sich als singuläre Stimme sichtbar zu machen, sondern mit anderen die eigene Vielstimmigkeit zu erkunden.
Zwischen Tür und Angel.
Und eine Maxime ist: so wenig schreiben wie möglich. Was schon geschrieben wurde, lesen.
4. Gibt es ein spezifisches, immer wiederkehrendes Thema in und bei Deiner Arbeit?
Die Motive, die mein wissenschaftliches Schreiben und meine Arbeit mit LIGNA verbinden, sind die zentrumslose Zerstreuung der Zeichen, ihre Performativität, also ihre historische Wirksamkeit und ihre Materialität bzw. ihre (historische) Materialisierung – im Comic auf den Seiten / den Erscheinungsorten, bei den performativen Radioarbeiten im Kopfhörer der Teilnehmenden.
5. Welche Vorbilder hast Du?
In Bezug auf das wissenschaftliche Schreiben: Kathrin Hoffmann-Curtius, die nie eine feste Stelle an den Universitäten einnahm, dafür aber einen ausgesprochen kritischen Geist bewahren konnte, der wenig Kompromisse machte. In Bezug auf die künstlerische Arbeit ist das viel schwieriger zu sagen, ohne dass es prätentiös klinge. Brecht ist ja kein Vorbild, sondern hat eine Ästhetik entwickelt, zu deren Tradierung ich hoffe mit LIGNA, einen kleinen Beitrag leisten zu können.
6. Was macht für Dich „gute Kunst“ aus?
Dass sie komisch ist. Walid Raad ist in diesem Sinne ein guter Künstler oder Elaine Sturtevant, Hans-Peter Feldmann kommen mir in den Sinn. Oder aus einer früheren Generation Joyce im Ulysses, ein die Gewissheiten zersetzender Humor. Die Peanuts. Aber auch Henry Darger, Aline Kominsky-Crumb, Julie Doucet. Ich find im übrigen ‚gut‘, dass das Gut in Anführungszeichen steht…
7. Woran arbeitest Du gerade?
Wir haben mit LIGNA gerade eine Bearbeitung von Brechts Spitzköpfe und der Rundköpfe für den Mousonturm in Frankfurt abgeschlossen, die erste ausführliche Beschäftigung mit ‚einem‘ Stück oder Drama und dessen Dramaturgie. Dort ging es um die Intersektionalität von Class, Race und Gender – und um Antisemitismus, den Überwachungskapitalismus und die Frage, wie heute sich Aufstand organisieren könnte. Jetzt beschäftigen wir uns just mit Annette Droste-Hülshoff, deren ‚Judenbuche‘ ein außergewöhnlich aufregendes – und auch komisches – Buch ist. Das wird ein zerstreuter Audiowalk in den Wäldern beim Rüschhaus in Münster. Der Wald dient oft als Projektion für Freiheit, aber ist auch aktuell ein interessanter Ort für Widerstand – und zudem ein gefährdeter Raum. Beim Rüschhaus liegt der Wald direkt neben der Autobahn. Im Herbst wollen wir uns dann mit Dantons Tod / Toussaints Tod – also der Geschichte der Revolution (der französischen, vor allem aber der Haitianischen) und ihrem Scheitern (oder in Bezug auf Haiti ihrem relativen Gelingen) beschäftigen, eine Arbeit im öffentlichen Raum, mit der das Öffentliche befragt wird.
8. Welche Rolle spielt der Zeitgeist für Dich?
Als wir vor zwanzig Jahren mit LIGNA unser erstes Radioballett gemacht haben, hätten wir nie gedacht, welche Konjunktur Audiowalks auch als kollektives Format bei den jüngeren Generationen haben würden. Inzwischen gibt es mehrere Plattformen, ein Festival für Audiowalks in Berlin – für uns war wichtig, Radio zu verstehen, ein Format zu entwickeln, das freies Radio realisiert. Das war damals – vor den ganzen Podcasts, aber an der Schwelle zu etwas Anderem als Analog-Radio, eher unzeitgemäß, entsprach aber vielleicht mehr dem Zeitgeist als wir es bemerkt haben.
9. Was würdest Du Dir für Deine Arbeit wünschen?
Ich empfinde es als großes Privileg, meine Arbeit überhaupt so verhältnismäßig frei verfolgen zu können, dass es gar nicht so viele Wünsche gibt, als den, dies weiter fortsetzen zu können – und natürlich, dass dies dann auch interessiert.
Bei manchen Theaterarbeiten wünschen wir uns gelegentlich, alte Arbeiten noch einmal hervornehmen können und sie in der Aufführung überprüfen. Wir hatten 2016 das Glück dies mit dem Ödipus, der Tyrann (2011) machen zu können, zudem auf der großen Bühne des Freiburger Theaters. Das war eine besondere Aufführung, auch weil wir eben nach fünf Jahren nochmal schauen konnte, wie die Arbeit funktioniert.
10. Welche Frage würdest Du Dir überdies gerne zum Abschluss selber stellen?
Das ist eine gute Frage. Eine, die bleibt, ist, wie sich angemessen trauern lässt.
Lieber Ole Frahm, vielen Dank für dieses schöne Gespräch!