Outtakes aus Pleitgens Biografie – Alterseinsichten (II)

Hinterlasse einen Kommentar

28. Dezember 2018 von ibohnet

Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.

Heute: Alterseinsichten (Teil 2) –  Über das fehlende Selbstbild, die Menschenkenntnis des Schauspielers, das Glück eines erfolgreichen Lebens, und das Unglück alt zu werden

Ilja Bohnet: Ulrich, wie würdest du gerne gesehen werden?

Ulrich Pleitgen: Ich habe keine Vorstellung von mir. Von meiner Außenwirkung habe ich keine Vorstellung. Und ich mache mir auch kein Bild. Von Gott soll man sich ja auch kein Bild machen. (Lacht!) Nein, das ist natürlich bloß ein Scherz. Aber es stimmt, ich habe mir nie von mir ein Bild gemacht. Deswegen kann ich auch nicht sagen, wie ich gerne gesehen werden möchte. Es gibt sicher ein paar Merkmale von denen ich weiß. Obwohl ich gestehen muss … ich weiß nicht mal, welche das sind. Ich bin mir einfach meiner selbst nicht bewusst. Das einzige, was es bestimmt weiß, das ist meine Haltung zu Dingen. Du kannst mich am besten an meiner Haltung festmachen, meine Haltung zu Politik und Gesellschaft, Freundschaft und Liebe, Sexualität und Moral.

Ilja Bohnet: Kann man von deinem Spiel als Schauspieler irgendwie auf deinen Charakter schließen?

Ulrich Pleitgen: Nein, das glaube ich nicht. Als Schauspieler stellst du dich auf eine Rolle ein und spielst sie. Du verstellst dich also. Übrigens ist das eigentlich etwas sehr normales, dieses Verstellen, das machen alle Menschen. Das passiert einem im Alltagsleben des öfteren. Wenn du beispielsweise nach Hause kommst und und spürst, dass deine Frau ganz anders drauf ist als du, sie sehr traurig, dir geht es sehr gut, dann stellst du dich darauf ein, du verstellst dich. Das Verstellen im Alltagsleben und die Schauspielerei sind durchaus verwandt miteinander. Es wäre auch traurig, wenn es anders wäre. Aber uns Schauspielern wird dauernd misstraut: »Ihr Schauspieler spielt doch ständig.« Und ich habe sogar schon in manchen Schauspielerbiografien gelesen: »Wir Schauspieler spielen immer!« So ein Quatsch, unbegreiflich. Das ist eine ganz fürchterliche Behauptung. Richtig, ich glaube, dass Schauspieler sehr viel vom Rollenspiel und der perfekten Art der Verstellung verstehen. Sie können Unaufrichtigkeit sehr leicht durchschauen. Das hat mit ihrem Beruf zu tun, mit dem Training, das der Beruf mit sich bringt. Menschenkenntnis gehört auch dazu. Er hat auch viel mit Instinkt zu tun. Mit Psychologie weniger, die ist etwas für Psychologen. Wir Schauspieler spielen Kunstfiguren, die wir sozusagen mit Menschlichkeit ausstatten. Der Beruf schärft das Empfinden und Bewusstsein, das Erkennen und die Erkenntnisfähigkeit für menschliche Eigenschaften und Fähigkeiten. Die Menschenkenntnis bei vielen Schauspielern, nicht bei allen, aber doch bei vielen ist meines Erachtens sehr gut entwickelt. Ich könnte hier viele Kollegen nennen, die dafür exemplarisch stehen.

Ilja Bohnet: Führt diese Menschenkenntnis zu einer besonders kollegialen Atmosphäre im Theater oder beim Film?

Ulrich Pleitgen: Vielleicht. Man ist offen und ehrlich miteinander und gesteht sich seine Schwächen ein. Das führt zu einem warmen Umgang untereinander. Das ist bestimmt ein Grund, weshalb ich gerne zu Dreharbeiten gehe. Ich meine hier übrigens nicht nur Schauspieler, sondern auch die anderen Kollegen am Set. Beleuchter, Maskenbildner, das gesamte Personal, Regisseure, Kameraleute. Ich habe ein paar Filme gedreht, da waren wir uns besonders nahe als Gruppe, als Gemeinschaft, dass es ein ganz großes Gemeinschaftserlebnis war. Ich definiere mich gerne über eine Gruppe, eine Gemeinschaft. Weil sie möglich macht, was ich gerne im Leben haben möchte an Kommunikation, an Solidarität und so weiter, obwohl ich doch privat eher ein Einzelgänger bin. Doch bei der Arbeit bin ich ein Gruppenmensch.

Ilja Bohnet: Hast du ein Ideal, dem du nacheiferst?

Ulrich Pleitgen: Nein, dazu bin ich zu praktisch. Ich bin letzten Endes ein praktischer Mensch. Ich meine nicht in handwerklicher Hinsicht, sondern was die Lebensführung anbetrifft, bin ich ein praktischer Mensch (ich muss mit dem Leben, was mir von meinen Vorvätern mitgegeben wurde). Ich habe noch nie Vorbilder gehabt. Es gibt Leute, die ich unheimlich mag und auch für ihr Tun und Handeln bewundere. Aber ein Vorbild im Sinne von: Ich möchte gerne so sein wie dieser oder jener, das hatte ich nie. Ich gebe zu, dass das auch mit einer gewissen Eitelkeit zu tun hat, das kann schon sein. Ich möchte gerne ich selbst sein, auch wenn ich nicht selbst weiß, was ich genau bin. Ich möchte das schon sein, dieses Stück Fleisch und der Kopf dazu. Aber ich wäre gerne hübscher. Ich wäre immer schon gerne schön gewesen. Das habe ich aber leider nie geschafft zu sein. Nicht aus eigener Kraft. Dazu hätte es eines Schönheitschirurgen bedurft.

Ilja Bohnet: Mir sind neulich Bilder von dir aus den 1980er- und 1990er-Jahren in die Hände gefallen, und ich muss sagen: Du bist schon ein hübscher Mann gewesen.

Ulrich Pleitgen: Das kann schon sein, aber ich lag immer mit mir im Clinch. Ich habe immer mit mir gehadert, vielleicht etwas idiotisch, aber ich kam nicht drüber hinweg, mich locker zu betrachten. Schon auf der Schauspielschule hieß es: »Die Blonden müssen besonders begabt sein. Die müssen rüberkommen mit ihrer Ausstrahlung. Die Schwarzen, diese romanischen Helden, die haben das gewisse etwas an sich. Die dunklen Augen, das Verträumte, die langen schwarzen Wimpern. Aber die Blonden müssen dran arbeiten.« Ein Komplex, den ich nicht mehr los wurde. Dass dieser Typ des romantischen Helden nur bedingt existiert, das habe ich nicht begriffen. Und jetzt, nach vielen Dekaden der fehlenden Selbsteinsicht, jetzt endlich denke ich: Ich gehe so einen ähnlichen Weg wie der schweizer Schauspieler Michel Simon. Ich sehe aus wie eine alte Ente (wie Michel Simon in dem Alter auch aussah), aber naja. Das heißt aber nicht, dass ich nicht auch schon als junger Mann irgendwie selbstbewusst war. Ich konnte immer reden, ich meine über interessante Dinge wortgewaltig sprechen, nicht einfach nur Konversation betreiben. Ich habe immer viel gelesen und damit das wettgemacht, was der Gigolo mit seinem Äußeren an Eindruck schafft.

Ilja Bohnet: Wofür bist du dankbar?

Ulrich Pleitgen: Das ist einfach zu sagen. Für den Erfolg in meinem Beruf. Ich habe ja nicht absehen können, wie sich alles entwickelt. Ich bin ins Leben getreten, ohne zu ahnen, wie kompliziert es verlaufen kann. Dieser Grundsatz, den ich mir in meiner Jugend gegeben habe: Schauspielern – das kann ich! Das hat sich tatsächlich als richtig erwiesen. Aber dass ich dann so viel Glück haben würde, das ist was wunderbares, dafür bin ich sehr dankbar. Und dafür können auch ganz viele andere Menschen etwas dazu. Es gibt ganz viele Menschen, die mögen einen,  und die helfen einem. Es geht nicht nur darum, ob du begabt bist, sondern auch um die Hilfe von anderen, es geht auch darum, wie gehst du mit den Menschen um, und sind die Menschen gerne mit dir zusammen. Der Regisseur engagiert dich nicht nur, weil du so begabt bist und die richtige Besetzung darstellst, sondern weil du ihm auch als Typen gefällst. Das kommt alles zusammen. Und ich bin dankbar für diese Frau. Für das Zusammenlen mit deiner Mutter. Das muss ich wirklich sagen. Deine Mutter ist für mich der wichtigste Mensch in meinem Leben. Aber ich bin auch dankbar, dass es dich gibt. Ja, mein absolutes väterliches Gefühl für dich, doch ohne dieses Erzieherische: Du musst dir die Haare schneiden oder sowas. Und was deine Mutter anbetrifft: Sie hat mich immer in die richtige Richtung geführt. Sie hatte immer einen Instinkt dafür, was für mich gut ist. Und deshalb ist ist mir beruflich auch sehr gut ergangen, von wenigen Fehlern abgesehen. Und den Fehlern, die mir passiert sind, ging eine Warnung deiner Mutter voraus. Deine Mutter hat mir auch schauspielerisch Dinge beigebracht, die ganz erstaunlich sind. Wir haben immer die Rollen gemeinsam durchgearbeitet. Genaue Verabredungen getroffen, wie etwas in den Szenen zu machen ist und so weiter. Und über all dies hinaus: Ich habe eine ganz besondere Liebesgeschichte mit deiner Mutter. Dass all dies möglich wurde für mein Leben, das hätte ich zu Beginn meiner Karriere nicht gedacht. Als ich mein Leben angefangen habe, und eine Frau der anderen die Klinke in die Hand gab, habe ich gedacht: Oh Gott, so geht es jetzt immer weiter bis ich vierzig bin. Und mit dem vierzigsten Geburtstag ist das Leben sowieso vorbei. Dann kam aber deine Mutter, und ich war erst Anfang dreißig. Und meine filmische Karriere habe ich erst mit dem vierzigsten Lebensjahr begonnen.

Ilja Bohnet: Fehlt dir trotzdem etwas zum absoluten Glück?

Ulrich Pleitgen: Mir fehlt das Glück vieler anderer Menschen auf diesem Planeten. Aber abgesehen davon, merke ich, dass ich alt werde. Und ich spüre mit zunehmenden Alter die damit einhergehenden körperlichen Belastungen. Und langsam wird es jetzt etwas viel. Selbst noch das sechszigste Lebensjahr war irgendwie hinnehmbar, ich hab nichts gemerkt vom Altwerden, das meine ich nicht nur mit Blick auf Krankheiten und allgemeine körperliche Befindlichkeiten, sondern hinsichtlich des schwächerwerdenden Gefühls des Jungseins. Sich jung zu fühlen ist ein Lebenselexier. Leider geht mir dieses Elexier langsam aus. Dazu kommt, dass ich bloß noch Großväter spielen kann oder muss. Und das zeigt mir, wie alt ich wirklich bin. Das ist schon blöd. Immerhin werden auch alte Menschen als Schauspieler gebraucht. Das ist tröstlich, aber die Rollenangebote werden übersichtlicher. Und ich bin zu eitel, um kleine Rollen zu spielen, dazu habe ich keine Lust. Momentan liegen beispielsweise zwei große schöne Rollen vor mir, es geht also noch … irgendwie. Es geht für mich auch einen praktischen Grund, weshalb ich ungern kleine Rollen spielen. Es gibt Schauspieler, die in zwei, drei Szenen unglaublich eindrucksvoll und auf den Punkt spielen können. Das kann ich aber nicht. Ich bin innerlich zu langsam. Ich brauche Zeit, um auf Touren zu kommen. Ich brauche dafür eine große Rolle. Ganz einfach und schrecklich gesagt, aber es ist so wie es ist. Durch das Altwerden erlebe ich inzwischen sehr dunkle Momente, Phasen absoluter Dunkelheit. Ich bin über die Zumutungen des Alters empört (der Satz stammt ja leider nicht von mir). Ich bin wütend darüber. Ich habe geschuftet, ich habe immer versucht anständig zu sein, ich finde, ich habe nicht verdient, einfach so alt zu werden. (Lacht!)

Ilja Bohnet: Der Publizist und Wissenschaftsjournalist Hoimar von Ditfurth sprach davon, dass die größte Erniedrigung für den Menschen sein Wissen um die eigene Sterblichkeit sei.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Trage deine Email-Adresse ein um Email-Benachrichtigungen über neue Bloposts zu erhalten.

Sachbücher

Krimis

Kurzgeschichten

Lesungen

%d Bloggern gefällt das: