Outtakes aus Pleitgens Biografie – Alterseinsichten (I)
Hinterlasse einen Kommentar27. Dezember 2018 von ibohnet
Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.
Heute: Alterseinsichten (Teil 1) – Über den Neid auf die Jugend, gute und schlechte Charaktereigenschaften und die Liebe zu selbst
Ilja Bohnet: In welchem Verhältnis stehst du zur Jugend?
Ulrich Pleitgen: Natürlich bin ich neidisch auf die Jugend. Als alter Mann, der seine Jugend nicht vergessen hat, aber sie nicht mehr leben kann, geht das doch gar nicht anders. Ich kann mich noch gut an meine Jugend erinnern, wenn ich am Ende eines Wochenendes mit meinen Kameraden zusammen war, wir mit Restalkohol im Blut die Straße entlanggingen, alles Mögliche in der Nacht zuvor erlebt hatten, auch mit Mädchen, die dann aber doch nicht mit uns mitkamen, all dieser Kram, und wie unheimlich witzig und albern wir waren, und wie wir dieses Welteroberungslachen lachten. Wahnsinn. Heute Morgen hörte ich ein paar Jungens auf der Straße auf diese Weise lachen, und ich muss sagen, ich wurde richtig neidisch. Diese Einigkeit. Und diese Dreistigkeit in der Einigkeit. Ein Lachen soll laut, dass die Erde bebt. Diese Lebensfreude diese Energie. Man hat die Welt irgendwie im Arm. Mehr geht nicht.
Ilja Bohnet: Das geht irgendwann verloren, nicht wahr?
Ulrich Pleitgen: Das geht irgendwann verloren, richtig. Weil man irgendwann anfängt, differenzierter zu denken. Das Schöne am Jungsein ist doch, dass man nicht differenziert sein muss. Dass man die Dinge total meint. Irgendwann, später, kommen dann langsam die Zweifel. Den intelligenteren unter den Homo Sapiens zumindest. So erkläre ich mir dieses Welt Eroberungsgefühl, dass man im jugendlichen Alter haben kann. Das muss nicht unbedingt mit beruflichen Hoffnungen und dergleichen verbunden sein. Sondern es hat schlicht etwas mit Erkenntnis zu tun, mit der Ahnung von Dingen, über die man noch nicht genau Bescheid weiß, und natürlich (aus der Perspektive von Männern gesprochen): Es hat zu tun mit Frauen. Das ganze Programm. Als ich deine Mutter das erste Mal gesehen habe – dieses unglaublich kurze Kleid und die langen Beine. So etwas Schönes.
Ilja Bohnet: Überzeugt dich deine Selbstkritik?
Ulrich Pleitgen: Ich finde ja. Zumindest kann ich sagen, dass meine Selbstkritik so stark ist, dass sie mir manchmal auch die Kraft raubt. Mehr davon und ich wäre nicht mehr handlungsfähig, dass es gefährlich werden könnte für mein Selbstwertgefühl. Das gilt für mich beruflich wie privat. Es heißt, um lieben zu können, muss man sich selber lieben. Ich weiß nicht, was damit gemeint ist. Ich kann mir darunter nichts vorstellen. Wirklich nicht. Ein solcher Satz kommt mir vor wie aus einer Frauenzeitschrift – oh, das darf ich heute nicht mehr sagen. Dann eben wie aus einem Lebenshilfebuch. Dieses: liebe dich, damit du lieben kannst! Ich weiß es nicht. Ich war noch nie verliebt in mich. Ich habe mich noch nie geliebt. Egozentriker lieben sich, glaube ich. Ich aber bin kein Egozentriker. Du hast es mir auch mal unterstellt, ein Egozentriker zu sein.
Ilja Bohnet: Richtig, ja.
Ulrich Pleitgen: Das finde ich ungerecht. Denn ich bin keiner. Wenn ich einem Menschen von mir selber erzähle, ist es der verzweifelte Versuch, eine warme Verbindung zu ihm herzustellen, ich schwöre es. Ich habe ein Bedürfnis nach Wärme und Harmonie, dass es geradezu verbrecherisch ist.
Ilja Bohnet: Was könnte man dir übelnehmen? Welche Charaktereigenschaften sind für andere Menschen eher unangenehm?
Ulrich Pleitgen: Naja, das ewig gleiche Thema, dass die Zeitungen immer wieder gern mit mir in Verbindung bringen: der Jähzorn. Deine Mutter hält mir manchmal vor, dass ich darüber sprechen würde, als sei ich stolz darauf. Aber das bin ich nicht. Mein Jähzorn ist eine wahnsinnige Schwäche. Und ich schäme mich nach einem Jähzornsausbruch immer fürchterlich. Ich rutsche dann auf dem Hosenboden herum und entschuldige mich. Und sie sagt zu mir: »Mit dir kann man nicht zusammenleben. Alle sagen das.« Und ich winde mich und sage: »Bitte, verzeih mir! Jetzt nicht zu Bett gehen, ohne dass wir uns versöhnen, bitte!« Ich erniedrige mich dann bis zur Selbstaufgabe. Ich bin wirklich nicht stolz drauf. Viele Menschen halten sich ja auf ihren Jähzorn etwas zugute, als sei das ein Ausdruck besondere Leidenschaft. Leidenschaft und Jähzorn sollte man nicht verwechseln. Wie bei der Leidenschaft schafft auch der Jähzorn ein Leiden, aber nicht einem selbst, sondern bei den Menschen, die den Jähzorn ertragen müssen. Jähzorn scheint mir eine unbeherrschte, brutale, aber sehr wirkungsvolle Problemlösungsstrategie zu sein. Du kommst einen Jähzornsanfall, und damit deinen Willen. Weil die anderen sagen: »Oh Gott!« Aber wenn ich mal einen Jähzornsanfall bei einem anderen Menschen miterlebe, dann gerate ich in Panik. Den Jähzorn anderer zu erleben, ist echt unschön. Erzeugt bei mir Entsetzen. Für den Jähzornigen hat es natürlich etwas sehr reizvolles. Es ist wie in Demonstration von Kraft. Dabei ist es in Wirklichkeit eine Demonstration von absoluter Hilflosigkeit. Aber um hier kein völlig falsches Bild von mir zu zeichnen, ich habe auch gute Charaktereigenschaften.
Ilja Bohnet: Welche? (Lacht!)
Ulrich Pleitgen: Ich bin sehr geduldig. Doch, wirklich. Eine Eigenschaft, die nicht alle Menschen haben. Deine Mutter beispielsweise neigt zu insistieren, immer und immer wieder den gleichen Satz zu wiederholen: »Doch, hast du doch. Doch, hast du doch.« Dieses Insistieren macht mich wahnsinnig. Und irgendwann ist dann auch meine Geduld aufgebraucht. Man kann mir auf die Zehen treten, aber wenn es das dreißigste Mal passiert, erfolgt eine Explosion. Und dann fühle ich mich nicht mehr schuldig. Aber selbstverständlich muss ich mich dann trotzdem für einen so bedingten Wutanfall entschuldigen, weil ein Wutausbruch grundsätzlich als unverhältnismäßig gilt. Also lieber davon ablassen.
Ilja Bohnet: Ist es möglicherweise gesund, jähzornig zu sein?
Ulrich Pleitgen: Das weiß ich nicht. Es haben sicherlich schon viele Menschen im Jähzorn einen Gehirnschlag erlitten. Ein Wutausbruch hat natürlich auch eine Ventilwirkung. Aber dazu brauche ich nicht meinen Jähzorn. Wenn mich Dinge quälen, dann spreche ich darüber. Natürlich nicht mit jedem Menschen, aber mit Vertrauten kann ich über die Dinge reden, die mich belasten. Und das „über die Dinge reden“ entlastet, viel mehr als das ein Jähzorn könnte. Dass es gesund ist, Dinge nicht in sich hineinzufressen, davon bin ich fest überzeugt. Das liegt auf der Hand, dazu braucht man keine ärztliche Studie, die darüber einen Nachweis erbringt. Natürlich reicht das Reden auch nicht immer. Manchmal muss man sich auch konkret wehren. Mich beleidigen zu lassen und ohne Widerworte nach Hause zu gehen, wäre eine Katastrophe für mich.
Ilja Bohnet: Was nimmst du dir selber übel, und wofür würdest du andere um Verzeihung bitten?
Ulrich Pleitgen: Intriganz würde ich mir übelnehmen.
Ilja Bohnet: Aber intrigant bist du doch überhaupt nicht!
Ulrich Pleitgen: Das stimmt, aber ich habe auch schon Leute, die mir irgendwie zu nahe getreten sind, in die Pfanne gehauen. Das finde ich problematisch.
Ilja Bohnet: Aber sprichst du hier nicht eher von Rache?
Ulrich Pleitgen: Ja, das stimmt. Mich drücken manchmal die ärgsten Rachegefühle, das ist aber auch sehr unzivilisiert. Und überhaupt nicht demokratisch. Diese Gefühle sind dagegen mit demokratischem Bewusstsein zu bekämpfen. Aber was mir manchmal durch den Kopf geht, sogar bei so banalen Dingen wie Fußball, das darf ich gar nicht sagen. Das geht in die Niederungen meiner Persönlichkeit. (Die Schwalben der Italiener – das hat mich immer schon wahnsinnig gemacht.)
Ilja Bohnet: Wie siehst du dich, und wie glaubst du sehen dich andere Menschen?
Ulrich Pleitgen: Ich habe ein sehr problematisches Selbstbild. Ich bekomme keinerlei gerade Linie in dieses Bild. Aber ich weiß, dass ich sympathisch rüberkomme. Mir haben schon oft Leute am Film-Set beispielsweise gesagt: »Gestern was du gar nicht da, um prompt war es nicht so schön.« Also die finden es gut, wenn ich am Set bin. Das hat offensichtlich nichts mit der Schauspielerei zu tun, sondern damit, dass ich für gute Stimmung sorge. Das wiederum hat bestimmt auch damit zu tun, dass ich beim Drehen immer gute Laune habe. Ich liebe meinen Beruf.
Ilja Bohnet: Und das hat zweifellos auch etwas mit deinem Humor zu tun und mit der Art und Weise, wie du Menschen ansprichst. Mit deiner Ansprache und deiner Offenheit. Du bist ein Mensch, der die Menschen ja erst mal liebt.
Ulrich Pleitgen: Aber die Menschheit nicht. Alle Menschen als Gesamtheit keineswegs. Aber die einzelnen Menschen mag ich im Allgemeinen schon. Naja, vielleicht geht es so halbe-halbe. Neulich sagte mir jemand, dreißig Prozent der Menschen seien klug, siebzig Prozent Idioten. Das wäre wissenschaftlich erwiesen.
Ilja Bohnet: Es ist vermutlich immer so, dass man mit knapp einem Drittel der Menschen, auf die man stößt, etwas anfangen kann, und mit den anderen zwei Dritteln weniger. Wenn du dann die zwei Drittel losgeworden bist und dich bloß mit dem einen Drittel an Menschen beschäftigen musst, dann differenzierst du dieses Drittel weiter aus, weil dir davon ein Drittel wiederum sympathischer erscheint als der Rest. Und wenn du das weiter und weiter treibst und wieder wieder die Spreu vom Weizen trennst, kommst du am Ende zu immer weniger Menschen, die dir wirklich sympathisch sind, und schlussendlich landest du bei einem einzigen Menschen, bei dir selbst …
Ulrich Pleitgen: Großartig! (Lacht!)