Outtakes aus Pleitgens Biografie – Reiseberichte (I)
Hinterlasse einen Kommentar17. Dezember 2018 von ibohnet
Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.
Heute: Reiseberichte (Teil 1) – Afrika
Ilja Bohnet: Du hast in vielen internationalen Produktionen teilgenommen, und in diesem Zusammenhang neben verschiedenen Ländern Europas auch an exotischen Plätze gedreht, in Russland, auch in Australien, Kanada und in Afrika, zum Beispiel in Sambia oder Namibia.
Ulrich Pleitgen: Namibia, eines der schönsten Länder der Welt. Diese eigenartige Mischung des Landes mit der deutschen Tradition, Stichwort Deutsch-Südwest. Dort habe ich kurz nach den Dreharbeiten in Russland den Film „Negerküsse“ gemacht. Auch das war ein unglaubliches Arbeitserlebnis. In „Negerküsse“ geht es um Rassismus, eine Filmkomödie, in der allen der Hintern versohlt wird: den Weißen, den Schwarzen, den Reichen und den Armen, die Bundesrepublik Deutschland bekommt genauso ihr Fett weg wie der afrikanische Staat Namibia. Maria Theresia Wagner führte die Regie, eine unglaublich süße, wahnsinnig hübsche Bayerin, sehr direkt und herzlich im Wesen und sinnlich und süß im Ausdruck. Solche Frauen mit so viel Herz und Offenheit trifft man in Deutschland vielleicht nur in Bayern. Ich spielte die Hauptrolle in diesem Film, die Rolle des Industrievertreters Norbert Nagel. Der Titel „Negerküsse“ steht für die dunklen Geschäft zwischen Deutschen und Afrikanern vor dem Hintergrund angeblicher Entwicklungshilfe. Die Deutschen wollen den Afrikanern ein Atomkraftwerk verkaufen, obwohl den Afrikanern genug alternative Ressourcen für die Energiegewinnung zur Verfügung stehen. Ich spielte den deutschen Vertreter der Verandlungspartner, einen Ingenieur. Der Film handelt von dem Betrug und der Bestechung bei solchen länderübergreifenden Deals, es geht um goldene Badewannen, Geld, Waffen und Korruption. An einem der Drehtage filmten wir bei sengender Hitze mitten in der Wüste. Die Szene handelt davon, wie den Afrikanern zum Beispiel eine Straße mit Verkehrsampel angedreht wird in einer absolut menschenleeren Gegend, in der es überhaupt keinen Verkehr zu regeln gibt. Die Szene beginnt mit einer Totalen: zu sehen ist eine betonierte Straße, die schnurgeradeaus durch die Wüste läuft und an einer Stelle von einer zweiten betonierten Straße gekreuzt wird. An dieser Kreuzung stehen vier Ampeln. Am Horizont taucht eine Wagenkolonne auf: der Präsident und seine Entourage, begleitet von mir als dem Anführer der Auslandsdelegation. Die nächste Einstellung zeigt, wie die Wagenkolonne durch diese vollkommen leere Wüste fährt. Nichts zusehen außer das graue, im Wüstensand flimmernde Band des Straßenbetons. Und dann die vier Ampeln an der Kreuzung. Die Kolonne fährt heran, der Präsident guckt staatstragend aus dem Fenster, als ob da irgendwo Untertanen stünden, da schaltet die Ampel auf Rot. Die Ganze Kolonne kommt zum Stehen. Und nichts passiert. Die Ampel bleibt rot. Eine wunderbare Szene. Es bricht Verwirrung aus, weil die Ampel nicht wieder auf Grün zurückspringt. Im Grunde genommen könnte man weiterfahren, da sowieso kein anderes Fahrzeug den Weg kreuzt. Der Staatspräsident wehrt ab, er will sich vor den Deutschen an Recht und Ordnung halten, aber irgendwann bricht sich die Anarchie ihre Bahn.
Ilja Bohnet: Wunderbar!
Ulrich Pleitgen: Irgendwann gab es beim Dreh in sengender Hitze eine Mittagspause. Für die Schauspieler waren zwei riesengroße, überdimensionale Sonnenschirme aufgestellt worden. Darunter war ein herrliches Buffet drapiert. Ein wunderbares Picknick mitten in der Wüste, im Schatten eines Sonnenschirms. Selbst für kühle Getränke war gesorgt worden. Wir standen unter den Sonnenschirmen und erfreuten uns an dem Buffet und den Getränken, da fiel mein Blick auf die andere Seite des Sets. Bei den Lastwagen des Filmteams stand eigenartig zusammengekauert eine Traube von schwarzen Menschen. Was ist da los, dachte ich. Die Schwarzen standen dicht gedrängt an den Lkw, um in dem sprälichen Schatten zu stehen, den der LKW unter der hoch am Himmel stehenden Sonne warf. Es wirkte armselig, wie die Leute dort Schutz vor der gleißenden Sonne suchten. Sie standen zusammengekauert und hatten sonst nichts. Ich rief zu ihnen rüber: »Kommt! Kommt hierher zu uns!« Ich meine, das muss man sich mal vorstellen: Wir drehten einen antirassistisch motivierten Film, der Anti-Rassismus war im Grunde genommen das Thema des Films …
Ilja Bohnet: … und ihr hattet ein rassistische Verhältnisse am Film-Set.
Ulrich Pleitgen: Absolut. Auf jeden Fall eine rassistische Produktionsleiterin. Sie sagte wörtlich: »Ich kann heute keine Neger mehr sehen.« Ich fragte, ob ich richtig gehört hätte, sie wehrte gleich ab und sagte, das sei doch bloß ein Witz gewesen. Du musst wissen, die Produktionsleiterin ist von großem Einfluss bei den Dreharbeiten. Sie kommt in der Hierarchie gleich nach der Regisseurin. Ich fragte, warum denn die schwarzen Statisten nichts bekommen würden? Wieder wehrte sie ab, die würden doch nichts haben wollen, die hätten doch alles. Dabei hatten die Schwarzen nicht mal etwas zu trinken. Ja, das bekommen sie schon, wenn sie durstig sind. Ich begann mich wirklich aufzuregen: »Was ist hier los?«, rief ich entrüstet. »Lassen Sie die Statisten sofort hier herüber kommen!« Denn freiwillig bewegten sie sich nicht zu den Sonnenschirmen. Es kam zum Streit am Set. Und dann haben wir, mein Kollege Eberhard Feik und ich einen Riesenaufstand gemacht und angedroht, die Dreharbeiten abzubrechen, wenn den Statisten nicht zur Pause auch ein Buffet angeboten würde. Weil zunächst nichts passierte, sind wir beide tatsächlich ins Hotel zurückgefahren. Zwei Stunden später wurden wir wieder abgeholt, man hatte den Schwarzen inzwischen etwas von dem reichhaltigen Buffet abgegeben. Das absurde war, dass der Film eine explizit antirassistische Mission verfolgte, das namibische Film-Team aber von weißen Rassisten infiltriert war. Es bestand aus Weißen und Schwarzen und arbeitete vornehmlich mit dem deutschen Fernsehen zusammen. Im Hintergrund agierte weitere namibische Filmfirmen, die mit deutschen Filmfirmen assoziiert waren. Aufnahmeleiter und Produktionsleiterin sprachen fließend Deutsch, gleichzeitig hatten sie die tiefverwurzelte Landeskenntnisse und konnten die Dreharbeiten entsprechend gut organisieren, was für einen reibungslosen Ablauf der Filmarbeit essentiell ist. Aber leider waren es lauter Rassisten, um nicht sagen zu müssen: Nazis. Drehort war in Swakopmund, ein sehr von den Deutschen und der deutschen Kolonialzeit geprägter Ort. Es gibt dort eine Bismarckstraße und eine Kaiser Wilhelm Straße. Weil die Deutschen keine spezifische Kolonialarchitektur kannten, haben sie dort einfach deutsche Kleinstädte nachgebaut – mitten in die Wüste. Das steht zum Beispiel ein weiß-roter Leuchtturm an der namibischen Küste, wie wir ihn von Amrum kennen. Völlig verrückt, aber sehr schön und verführerisch. Es war einfach schön anzuschauen, was an Bauten der deutschen Kolonialgeschichte übrig geblieben war. Wir wohnten in einem alten deutschen Hotel, das auch deutsche Kuchenkultur darbot. Auch die Geschäfte rings rum trugen deutsche Namen. Wir Deutschen waren auch relativ beliebt, trotz Carl Peters; Lothar von Trotha und Paul von Lettow-Vorbeck und den Kriegen, die von den Deutschen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg dort geführt wurden, unter anderen gegen die Hereros, eine der berühmtesten Stämme in der Gegend, die man in die Wüste getrieben hatte und ihre verzweifelten Versuche, zurückzukehren unter Maschinengewehrfeuer unterband. Die Hereros waren im Vergleich zu der deutschen Schutztruppe kaum bewaffnet. Trotzdem waren wir Deutsche sehr beliebt, bei den Weißen wie bei den Schwarzen. Die Altvorderen hätten Schulen, Dörfer, Städte aufgebaut, die ganze Infrastruktur mitsamt der Eisenbahn.
Ilja Bohnet: Die Emanzipationsgeschichte der afrikanischen Länder in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg ist eine ganz traurige. In den seltensten Fällen führte sie, so mein Eindruck, zu demokratischen, rechtstaatlichen Verhältnissen.
Ulrich Pleitgen: Die eine Seite des schwierigen kolonialen Erbes ist die Ausbeutung der Menschen, der Bodenschätze des Landes und die Zerstörung von Stammesstrukturen und Gesellschaften. Das andere Problem ist die Grenzziehung mit dem Lineal im Nachgang des Ersten Weltkriegs, die im Widerspruch zu dem nomadischen Leben oder den regionalen Stammesverteilungen steht. Es kommen noch weitere kulturelle Unterschiede hinzu, die eine Integration Afrikas in den Welthandel erschweren. Die Afrikaner haben beispielsweise ein völlig anderes Zeitgefühl als wir Mitteleuropäer. Wenn sie sagen: »Ich komme morgen«, dann kann es sein, dass sie vielleicht erst drei Wochen später kommen, und es würde ihnen in Afrika keiner übel nehmen. Das Zusammenleben mit den lebenden Toten ist ein anderes Beispiel für einen solchen Unterschied. Solange du über einen Menschen sprichst, lebt er im Leben eines Afrikaners noch, kann er genau sehen, was mit dir passiert. Der Glaube an die Lebenden Toten ist in Afrika, wie soll ich sagen, noch sehr lebendig. Das sind alles Dinge, die sich mit der westlichen Welt schwerlich vereinbaren lassen und in einem globalen Wettbewerb erschwerend hinzukommen. Ein sehr schöner, sehr reicher Kontinent, und sehr unglücklich.
Ilja Bohnet: Du warst auch an vielen anderen Orten und Ländern Afrikas.
Ulrich Pleitgen: Das stimmt, ich war zum Beispiel noch in Simbabwe und in Südafrika. Auch an der Elfenbeinküste. Diese Länder sind unglaublich schön. Angefangen von dem Licht, das ein ganz anderes ist als in Europa. Bis hin zu dieser überwältigenden Natur. Die Afrikaner, so meine Erfahrung, sind sehr hilfsbereit und ja, fast zärtlich, solange man sie nicht ärgert, sie wollen einfach nicht mehr geärgert und unterdrückt werden. Ich war erstaunt, wie liebenswert diese Menschen sind, wie sanft. Das Attribut „sanft“ würde beispielsweise als Beschreibung für einen Russen in der Regel nicht zutreffen. Die umarmen einen so stark, dass sie einem die Knochen brechen. Die Afrikaner dagegen sind wirklich sanfte Wesen, wenn ich das mal so ausdrücken darf.
Ilja Bohnet: Wie war Südafrika?
Ulrich Pleitgen: Über Südafrika gäbe es sicherlich vieles zu erzählen. Schönes wie Schreckliches. Ein Staat, dem die Schrecken und Probleme der Apartheid noch in den Knochen stecken. Dort habe ich verschieden Filme gedreht, die sich aber mit Südafrika und seinen Menschen nicht auseinandersetzen, sondern anders als der Film „Negerküsse“ das Land lediglich als Kulisse benutzen, wie ich leider konstatieren muss. Ich habe dort zum Beispiel einen Film zusammen mit einer schwarzen, unglaublich schönen Frau gedreht, die Schauspielerin und Fernsehmoderatorin war – das optisch reizvollste Wesen, das man sich vorstellen kann. In dem Film spielte sie meine Geliebte. Diese schwarze Frau gehörte zu dem sich in den 1990er Jahren neubildenden, schwarzen Establishment. Sie war ausschließlich beschäftigt mit reichen schwarzen, insbesondere reichen weißen Menschen, sie sprach ausschließlich über Mercedes, Porsche, BMW, sie hatte nur Konsumgüter der Superreichen im Kopf. Diese Frau war ein solches Ekelpaket, arrogant und komplett idiotisch. Mir ist absolut schleierhaft, wie ich mit einer solchen Person habe spielen können. Und ernüchternd zu sehen, dass sich der neubildende, schwarze Mittelstand in Südafrika genauso geriert wie die alteingesessene weiße Oberschicht. Leider fällt mir bei Südafrika noch ein weiteres Erlebnis ein, aber diesmal mit einem Menschen aus der Unterschicht. Wenn ich morgens aus dem Hotel auf die Straße trat, kam mir eine schwarze Frau entgegen, die vollkommen abgelebt war, der auf eine bedrückende Weise der Tod bereits im Gesicht zu stehen schien. Ganz offensichtlich eine Alkoholikerin. Ich machte es mir zur Gewohnheit, ihr das Kleingeld, das ich in der Hosentasche bei mir trug zu geben. Im Laufe der Drehzeit stellte sich die Frau darauf ein, sie wartete regelrecht auf mich. Ich gab ihr dann immer das Hartgeld, wobei ich den Eindruck hatte, dass ich der Einzige war, der das machte. Sie bedankte sich regelmäßig: »Oh, thank you!« Manchmal hatte sie morgen schon eine Fahne, und wenn nicht, rannte sie nach unserer Begegnung umso schneller los, wahrscheinlich um sich Alkohol zu besorgen. Eines Morgens hatte ich kein Geld bei mir. Ich zuckte bedauernd die Achseln, als sie auf mich zu gehumpelt kam. Zu meiner Überraschung schrie sie mich plötzlich an: »You German Fascist! Heil Hitler!« Und lauter solches Zeugs. Auf einmal war ich das deutsche Schwein. Nur: diejenigen, die ihr noch nie etwas gegeben hatten, wurden selbstständig nicht angeschrien, sondern nur ich armes Würstchen, der ihr mindestens fünfundzwanzig Mal etwas gegeben hatte, ich wurde jetzt völlig fertiggemacht. Diese beiden Geschichten aus Südafrika finde ich erwähnenswert, weil sie mich sehr desillusioniert haben.
Ilja Bohnet: Die Annahme, schwarze Menschen seien gut, nur weil sie schwarz sind, ist auch eine Form von Rassismus. Die derzeitige Ausbeutung des schwarzen Kontinents wird praktiziert von Schwarzen – wenngleich der Rest der Welt nicht schlecht davon profitiert. Nigeria zum Beispiel, eines der rohstoffreichsten Länder der Welt, versinkt in Korruption, Bürgerkrieg und Ungerechtigkeit.
Ulrich Pleitgen: Vielleicht hat auch das etwas mit den traditionellen Stammesstrukturen zu tun. Die Staatspräsidenten agieren wie vormals die Häuptlinge, und füllen sich die Taschen. Leider verdient die globalisierte, kapitalistische Welt nur allzu gut daran.