Outtakes aus Pleitgens Biografie – Freundschaft und Liebe (I)
Hinterlasse einen Kommentar15. Dezember 2018 von ibohnet
Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.
Heute: Freundschaft und Liebe (Teil 1) – Über Freundschaft, Prominenz und Schmeichelei
Ilja Bohnet: Was bedeutet Freundschaft für dich?
Ulrich Pleitgen: Vor einiger Zeit erschien mal einen Artikel über mich in der „Gala“. Das stand zu meiner großen Pein drin, obwohl ich es so dezidiert nicht gesagt hatte: »Ich bin kein guter Freund.«
Ilja Bohnet: Ist diese Aussage denn zutreffend?
Ulrich Pleitgen: Ich bin nicht der Freund, den man einmal in der Woche treffen kann. Ich bin jemand, von dem man sagt, dass er ein enger Freund sein könnte. Jemand, mit dem die einzelne Begegnung sehr eng und intensiv verlaufen kann, der zu einem vertrauensvollen, offenen Gespräch einlädt, als hätte man ihn schon häufig gesehen und öfters getroffen. Das ist die Art der Freundschaft oder des freundschaftlichen Umgangs, die ich bieten kann. Ich kann mich zwei, drei Stunden auf einen fremden Menschen einlassen, wir trinken Kaffee zusammen, und dann gehen wir anschließend auseinander, durchaus von dem Gespräch beseelt. Aber es sind in der Regel singuläre Ereignisse, bei denen lediglich etwas für einen Moment entsteht. Mit meinen Enkelkindern ist es anders, denn Kinder bezaubern mich dauerhaft. Bei Erwachsenen muss schon etwas Besonderes passieren, dass bei mir eine olympische Flamme entsteht, die nicht kurz darauf wieder ausgeht. Aber eine Flamme ist für mich die Grundlage einer Freundschaft. Wobei nicht wichtig ist, wie vermeintlich interessant jemand ist oder nicht ist. Das sind keine Kategorien für mich. Ich kann nicht genau erklären, auf welchem Wege eine Inspiration für mich entsteht, womit mich ein Mensch inspiriert, sodass ich mich für ihn dauerhaft zu interessieren beginne. Es gibt Menschen, die ich einfach in mein Herz schließe. So wie beispielsweise den Regisseur Richard Engel, ein Mann meines Alters. Ihm bin ich unglaublich eng und freundschaftlich verbunden. Ein Mann, der auch andersherum denkt, entgegengesetzt der normalen Denkweise. Er zwingt sich nicht dazu, sondern sein ganzer Charakter basiert auf diesem interessierten Hinterfragen. Nicht in einem kriminalistischen, detektivischen Sinne, nicht stur und beweisgierig oder rechthaberisch. Sondern mit dieser Lust auf Entdeckung: »Moment mal, macht das noch mal anders. Frag das doch noch mal andersherum.« Und das ist bei mir ganz ähnlich.
Ilja Bohnet: Wie hast du ihn kennengelernt?
Ulrich Pleitgen: Mit Richard Engel habe ich diese Serie „Familie Dr. Klaus“ gedreht. Richard Engel wohnt in einem Ort, der kurioserweise Ziegenhals heißt, unweit von Berlin. Er lebt dort zusammen mit seiner Lebensgefährtin Petra Kelling in einem Haus, sie ist Schauspielerin, eine sehr gute dazu. Die beiden entstammen noch der Brecht Ära und dessen Umfeld, sie war eine gute Freundin von Käthe Reichel. Diese unglaublich merkwürdige Käthe Reichel, die sämtliche ihrer Freunde und alle, die es werden wollten, auszubeuten verstand.
Ilja Bohnet: Was meinst du damit?
Ulrich Pleitgen: Du besuchtest Käthe Reichel zum Kaffeetrinken und wurdest binnen kurzem quasi ausgezogen. Käthe Reichel war eine berühmte DDR-Schauspielerin, die letzte große Liebe von Bertolt Brecht, sie hatten ein intensives Verhältnis miteinander, sie war sein Gretchen im Ur-Faust. Sie war sehr berühmt, ich habe sie am deutschen Theater erlebt, sie war sehr selbstbewusst, sie hatte dieses Selbstbewusstsein einer Rokoko-Mätresse, wenn ich das mal so sagen darf. Sie war zweifellos eine sehr intelligente Frau und auch eine sehr gute Schauspielerin. Aber sie beutete die Leute aus. Wenn du zu ihr zu Besuch kamst, hast du dein blaues Wunder erlebt. Sie wohnt in einem Haus, das Brecht mal gehört und ihr vererbt hatte. Das Haus stand in Buckow, dort, wo manche großen Brecht-Stätten zu finden sind. Eine Einladung von ihr verband sie mit der Bitte, doch bitte dieses und jenes mitzubringen: Kaffee und Kuchen, noch möglichst eine Dose mit Pfifferlingen. Dann kamst du dran zur Audienz, serviertest Sahnekuchen und Kaffee, bedanktest dich am Ende für all die Köstlichkeiten, die du selber mitgebracht hast, und zum Schluss durftest du ihr noch den ganzen Garten umgraben. (Lacht!)
Ilja Bohnet: Das ist ja furchtbar. Eine schreckliche Geschichte. (Lacht auch!)
Ulrich Pleitgen: Es war so. Käthe Reichel war berühmt für diese Art der Ausbeutung ihrer Freunde. Jeder, der sie kannte, erzählte solche Geschichten über sie. Ich lernte sie kurz nach der Wende kennen und war als Brecht-Liebhaber zunächst bezaubert von dem Gedanken, sie kennenzulernen. Ihr hing ja irgendwie noch der Duft und die Aura von Brecht an.
Ilja Bohnet: Wie unterscheidest du den Freund vom Schmeichler?
Ulrich Pleitgen: Nüchtern betrachtet spürt man das. Auch wenn es eine schwierige Sache ist, weil es Leute gibt, die so gut schmeicheln können, dass du es nicht sofort merkst. Denn jeder Mensch neigt ja leider zu dieser Bestechlichkeit. Wenn jemand mir schmeichelt, dann bin ich leichter bereit darüber hinwegzusehen, dass er es gegebenenfalls aus niederen Beweggründen tut, so schwächlich bin ich. Wenn ich nicht messerscharf merke, dass da jemand etwas im Schilde führt, dann beerdige ich die restlichen Zweifel an der Aufrichtigkeit des Schmeichelns und der Lobeshymne, die mir zuteilwird. Aber nüchtern betrachtet kann man den echten Freund vom Schmeichler unterscheiden. Doch wenn man bei Besinnung ist, riecht man die Unaufrichtigkeit förmlich. Aber in der Tat ist der prominente Mensch wahnsinnig bestechlich, das muss man sich immer wieder vor Augen führen, um mit der eigenen Berühmtheit vernünftig umgehen zu können. Außerdem musst du ja irgendwie auf Schmeichler reagieren. Wenn ein Regisseur mir sagt, dass ich ein großartiger Schauspieler bin, dann neige ich dazu, ihn ebenfalls gut zu finden. Das ist natürlich völliger Quatsch. Er kann doch sehr wohl ein schlechter Regisseur und trotzdem von mir begeistert sein. Aber angesichts eines solchen Schmeichelns bin ich plötzlich bereit, ihn auch gut zu finden, und so entsteht eine Freundschaft oder Beziehung, die auf Bestechung basiert, weil man sich der gegenseitigen Qualität versichert hat. Auf diese Art und Weise kann sich jemand durch Schmeichelei in eine Beziehung einschleichen. Aber an sich sind mir Schmeichler zuwider. Doch sind sie, wie gesagt, nicht immer einfach zu erkennen. Es gibt Menschen, die das mit einer solchen gespielten Bescheidenheit machen, unaufdringlich und mit einem zarten, Klopfen auf die Schultern, dass man es kaum merkt und die Schmeichelei tatsächlich für ernstgemeint hält. Aber Schmeichler, die etwas im Schilde führen, sind bloß Lügner, und wenn sie es gut machen, dann haben sie mich erfolgreich belogen, bin ich dem Betrug aufgesessen, mit dem ich nüchtern besehen nichts anfangen kann. Aber lass mich nicht zu streng mit mir selber sein: Das Einstreichen von kleinen Schmeicheleien, die gönnt man sich, die legt man dankbar zur Seite.
Ilja Bohnet: Was wollen die Schmeichler typischerweise von Dir?
Ulrich Pleitgen: Es gibt diese Schmeichler, die dich anrufen und fragen, wie es einem geht, und dann erzählen, dass sie einen im Fernsehen gesehen haben, und es so wunderbar war, und dass sie einen immer schon sehr gemacht haben, und Ann-Monika auch, und wie es denn Ilja geht und den vier Enkelkindern. Und am Ende stellt sich raus: Sie wollen 500 € haben. Schluss. Das ist mir zu durchsichtig. Der professionelle Schmeichler hingegen verlangt erst die 500 €, bevor einem erzählt, dass er einen im Fernsehen gesehen hat und wie toll man dort war und so weiter, obwohl du dich noch gar nicht geäußert hast, ob du ihm das Geld geben wirst.
Ilja Bohnet: Was beeindruckt dich stärker, die Kritik eines Freundes oder die eines Fremden?
Ulrich Pleitgen: Ich respektiere wohl stärker das Urteil eines Freundes, wenn es sich wirklich um einen Freund handelt. Aber das Urteil eines Fremden muss ich selbstverständlich in gleicher Weise an- und hinnehmen. Aber es gegebenenfalls anders werten. Ich muss in jedem Fall davon überzeugt sein, dass es sich um eine konstruktive, freundschaftlich gesonnene Kritik handelt, egal, ob sie von einem Freund oder einem Fremden stammt. Es muss jemand sein, der grundsätzlich einen Draht zu mir und meiner Arbeitsweise hat. Wenn er diesen Draht nicht hat, kann er mich nicht beurteilen. Und deshalb kann ich letztlich gar nicht sagen, ob mir das Urteil eines Freundes oder eines Fremden wichtiger ist. Das muss ich von Fall zu Fall abwägen. Auch ein Freund kann Hintergedanken haben, womit wir wieder bei der Schmeichelei wären, und selbstverständlich kann auch ein Fremder Hintergedanken haben. Das muss ich irgendwie herausbekommen. Wenn ein wildfremder Mensch zu mir kommt und sagt, er habe mich im Fernsehen gesehen, ich sei so wundbar gewesen, dann glaube ich das erstmal, denn welchen Grund sollte ein Fremder haben, mir das zu sagen, wenn es nicht wirklich seiner Meinung entspricht und er keinen Hintergedanken zu haben scheint?
Ilja Bohnet: Vielleicht, weil er bloß mal Ulrich Pleitgen berührt haben möchte.
Ulrich Pleitgen: Das kann sein, und es stimmt, das passiert auch manchmal. Das ist vor allem das Problem bei der Fernsehprominenz. Als Theaterschauspieler hat man das Problem in der Weise nicht, denn Theaterzuschauer sind in der Regel differenzierter als Fernsehzuschauer. Die Leute, die dich aus dem Fernsehen kennen, haben häufig nur den halben Film gesehen oder kurz mal reingeguckt, und loben dich trotzdem über alle Maßen. »Sie waren prima, sie haben ja so gut gefallen.« Im Grunde genommen wollen sie nur deine Prominenz ein bisschen schnuppern: Wie sieht der wohl aus der Nähe aus. Die Leute, die ins Theater gehen, reden mit dir richtig über die Sache selbst. Theatergänger sind häufig Menschen, die sich dem Schauspieler auch kritisch nähern, die sagen: »In dieser Rolle habe ich sie nicht verstanden. Können Sie mir Ihr Verständnis Ihrer Rolle erklären?« Sehr taktvoll, aber kritisch. Sie geben einem schon vorsichtig zu verstehen, dass sie das nicht so gut fanden. Oder auch, dass sie es gut fanden, aber dann begründen Sie das. Theaterschauspielern haben ja in der Regel auch nicht diese erdrückende Prominenz. Bei den Theaterschauspielern geht es tatsächlich um die Leistung. Die Promigeilheit bei Fernsehschauspielern dagegen ist verräterisch. Da geht es tatsächlich nur darum: »Oh, das ist ein Mann den alle kennen, jetzt kenne ich ihn auch.« Das Problem ist: die Prominenz eines Schauspielers hat häufig nichts, aber auch gar nichts mit seiner Begabung zu tun, genauso wie die Bekanntheit eines Schauspielers nichts mit seinem Können zu tun haben muss. Die Qualität des Stars ist manchmal bloß noch das Star-Sein an sich und reflektiert nicht unbedingt die schauspielerische Qualität. Und generell gilt: Die Bekanntheit eines Schauspielers sagt nichts über seine fachliche Qualität. Ich denke zum Beispiel an It-Girlies, die künstlerische Leistung durch Selbstinszenierung ersetzen. Das ist ein ganz neuer Beruf – nämlich die Selbstinszenierung. Und irgendwann hast du deine eigenes Parfum (obwohl du mit der Herstellung von Parfums nie etwas zu tun hattest), du vertreibst deine eigenen Dessous (obwohl du auch damit im Grunde nichts zu tun hast, außer, dass du dein Gesicht dafür hinhältst), weil du berühmt bist. Es gibt Menschen, die Paris Hilton bewundern, weil sie ein eigenes Label hat.
Ilja Bohnet: … und weil sie Paris Hilton ist.
Ulrich Pleitgen: … aber selbst hat sie doch gar nichts geleistet. Keine Marke, kein Label aufgebaut und nichts. Das haben doch andere Leute um sie herum gemacht. Paris Hilton wird gar nichts gemacht haben, außer eben Paris Hilton zu sein. Das finde ich sehr befremdlich, dazu bekenne ich mich, diese Art von Luftaktienexistenzen sehe ich sehr kritisch. Dass die Anzahl dieser Luftaktienexistenzen anwächst und ihr Wert stark zu steigen scheint, befremdet mich umso mehr. Mit keinerlei eigenem Einsatz sich selber als Firma gründen, als echte „Ich-AG“. Das ist etwas, was mich wirklich ärgert. Eine gewisse Eigenleistung muss schon zu sehen sein. Leistungsbereitschaft ohne Theater, wenn ich das Wort Theater mal in einem negativen Sinne benutzen darf, scheint mir schon sehr geboten, mit einem gewissen Erfolg hintendran, durch echte Arbeit. Das ist mir alles lieber als diese selbstreferentiellen Luftexistenzen. Es gibt auch Trittbrettfahrer, die sich irgendwie auf Galas und Preisverleihungen auf den roten Teppich schummeln und in den Fokus der Kameras kommen.
Ilja Bohnet: Ja, aber diese Trittbrettfahrer haben doch wiederum eine interessante anarchische Komponente.
Ulrich Pleitgen: Unbedingt, da steckt schon wieder Arbeit drin, wenngleich eine wenig redliche, aber immerhin Arbeit. Wie dem auch sei, im Filmbusiness gibt es seitens der Zuschauer viel Schmeichelei, die letztlich auf Promigeilheit beruht, echte Freundschaften zwischen Schauspielern und Publikum sind selten.
Ilja Bohnet: Aber die gibt es …
Ulrich Pleitgen: Die gibt es zweifellos. Sie entstehen veilleicht auch aus einer Schmeichelei heraus, der aber eine wahre Bewunderung für das Werk des Schauspielers zugrunde liegt. Und daraus können echte freundschaftliche Beziehungen erwachsen.
Ilja Bohnet: Hast Du ein Besipiel?
Ulrich Pleitgen: Unsere Fischenichs – ein befreundetes Paar, das viele meiner Lesungen besucht hat und nachwievor besucht, und mit denen wir, Deine Mutter und ich uns regelmäßig treffen. Das ist ganz wunderbar, eine solche besondere Beziehung zu Menschen aus dem Publikum zu haben.