Outtakes aus Pleitgens Biografie – Über den internationalen Film (1)
Hinterlasse einen Kommentar13. Oktober 2018 von ibohnet
Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.
Heute: Über den internationalen Film (Teil 1) – die Überzeichnung im US-amerikanischen, die Skurrilität im englischen und das Fragmenthafte im französischen Film
Ulrich Pleitgen: Deutsch ist einfach meine Sprache.
Ilja Bohnet: Was meinst du damit?
Ulrich Pleitgen: Ich hätte zweifellos in Großbritannien Karriere machen können. Es gab da mehrere Regisseure, die mich kennen lernen wollten. Die Kontakte hatte mir mein englischer Regisseur namens Rob Walker vermittelt, mit dem ich im Jahr 1990 The Children drehte. Die Vorstellung in Großbritannien zu arbeiten war für mich sehr verführerisch. Weil ich merkte, wie sehr mich die englische Sprache anzog, wie gut ich mit ihr zurechtkam. Ich habe daraufhin einige viele Filme in Englisch gedreht, unter anderem eben auch den mit Rob Walker, und ich merkte, wie mir das Spielen in der englischen Sprache gefiel, wie sehr ich diese Sprache mag: Die Schnelligkeit im Ausdruck, das entspricht meiner Art zu spielen. The Children war ein Zweiteiler, unter anderem von der BBC produziert. Die Engländer, wenn ich das sagen darf, waren daraufhin ganz versessen auf mich, das war offensichtlich. Dies war natürlich sehr schön für mich, ich fühlte mich entsprechend geschmeichelt. Als ich nach der BBC-Produktion wieder nach Hause in kam, lag prompt ein wunderbares Folgeangebot aus England im Briefkasten.
Ilja Bohnet: Was war das?
Ulrich Pleitgen: Ich sollte bei einem großen Science Fiction-Film mitmachen. Ich überlegte hin und her, bis ich merkte, nein, es würde nicht gehen, meine Muttersprache ist Deutsch. Ich spürte plötzlich, dass mir ohne dieses deutsche Ambiente etwas fehlen würde. Mir wurde klar, wie dermaßen verhaftet ich mit der deutschen Sprache bin – die Liebe zum Englischen hin oder her. Ich wusste, ich würde niemals wegen irgendeiner Karriere-Option dauerhaft ins Ausland gehen. Ich habe im Folgenden noch verschiedene filmische Exkursionen ins Ausland gemacht, quasi Ausflüge, aber das reichte dann auch. Denn ich wusste damals schon, dass das englische Kino sehr speziell ist und dem deutschen auf eine Weise überlegen, dass man sich sehr wohl überlegen sollte, ob man sich dem aussetzen will. Die englischen Schauspieler sind zweifellos das Sahnehäubchen in der internationalen Schauspielerei.
Ilja Bohnet: Du sprichst explizit von Briten, nicht von US-Amerikanern?
Ulrich Pleitgen: Nein, nein, ich spreche hier nicht von Engländern im engeren Sinne, ich meine selbstverständlich auch Schauspieler aus den USA, wobei viele Engländer auch im US-amerikanischen Kino präsent sind, denn die Amerikaner lieben die feine englische Aussprache, und das ostamerikanische Kino der USA, insbesondere das aus New York, das ist regelrecht viktorianisch geprägt. Woody Allen ist ein Beispiel für einen sehr europäisch geprägten US-Amerikaner. Er bemüht sich sehr um eine Tschechow-inspirierte Beziehung seiner Geschichten, die immer auch einen sehr gesellschaftlichen Bezug haben, was ich wunderbar finde. Woody Allen ist für mich nach wie vor einer der größten Regisseure der Gegenwart. (Ich bin so froh, dass er noch lebt, wenn er mal sterben sollte, dann wäre das hart für mich, obwohl ich doch gar nichts mit ihm zu tun habe.)
Ilja Bohnet: Aber was war nun der Grund, nicht ins englischsprachige Ausland zu gehen? Hattest du Angst vor der englischen Konkurrenz, der Elite der Schauspielerei?
Ulrich Pleitgen: Nein, nicht die Angst vor Konkurrenz bildete den Grund, nicht auswandern zu wollen. Gute Schauspieler sind gut Schauspieler, an denen erfreue ich mich. Ich hätte diesen Wettbewerb nicht gescheut. Ich hatte mich ja in dem Film The Children in einem Umfeld von erstklassigen englischen Schauspielern befunden, auch meine russischen Kollegen, mit denen ich später drehen sollte, wir kommen noch darauf zu sprechen, waren erstklassige Schauspieler. Und dennoch hatte ich mich hier wie dort bestens bewährt. Das Problem als Deutscher im angelsächsischen Film ist das Festgelegtwerden auf eine bestimmte Rolle, das Schubladendasein, das einem dann droht. Ich hätte im britischen oder US- amerikanischen Kino selbstverständlich Englisch sprechen müssen, fein, aber den deutschen Akzent hätte ich niemals verleugnen können, somit wäre ich festgelegt worden auf „den Deutschen in England“, oder „den Deutschen in den USA“ und so weiter. Schon in dem Zweiteiler The Children war es so, dort spielte ich den Parteichef einer deutschen Grünen Partei, der zu einer Weltwährungskonferenz nach London reisen muss. Mit dieser Rolle war ich sehr glücklich. In Hollywood hätte ich deutsche Bösewichte, zumeist Nazis spielen müssen, das wurde mir mehrfach angeboten. Oder ich hätte einen Russen mimen dürfen, konkret wurde mir in einem großen Hollywood-Film die Rolle des russischen Trainers eines Eislaufpaares angeboten – eine Spionagegeschichte. Die tausendmal gesehene Rolle des bösen Russen, so in dem Stil. Ich habe abgelehnt. Später habe ich das Resultat dieser Produktion gesehen und muss sagen, es war gut, dass ich dabei nicht mitgemacht habe. Es war absolut kommerziell und künstlerisch schwach.
Ilja Bohnet: Trotz des immer wiederkehrenden Mainstreams: Das innovative Kino kommt aus den Vereinigten Staaten, oder nicht? Zum Beispiel diese mehrdimensionalen, epenhaften Serien, die gerade en vogue sind.
Ulrich Pleitgen: Es gibt wunderbares, US-amerikanisches Kino, aber was die epenhaften Serien anbetrifft, auf die du anspielst, da gibt es inzwischen auch eindrucksvolle Produktionen aus anderen Ländern, wie Skandinavien zum Beispiel. Allerdings verlieren sich die Skandinavier zunehmend in seelischen Grausamkeiten. Das aktuelle skandinavische Fernsehen ist mir zu brutal. Ich brauche Happyends. Das war schon bei mir als kleines Kind so, und es ist immer so geblieben. Ich saß schon als Zwölfjähriger im Kino und dachte: »Hoffentlich kriegen sie sich.« Jetzt sitze ich als uralter Mann im Kino, und denke immer noch: »Hoffentlich kriegen sie sich.«
Ilja Bohnet: Wenn es dann einmal nicht passiert? Ein Film ohne Happyend … endet?
Ulrich Pleitgen: Wenn es nicht passiert, dann bin ich traurig, aber ich habe möglicherweise trotzdem einen guten Film gesehen. Was ich im US-amerikanischen Film mehr oder weniger regelmäßig zu beobachten meine, ist diese Übermotivation, die finde ich grauenhaft. Das sieht man in französischen Filmen interessanterweise seltener, und auch in englischen Filmen weniger häufig. Wir sprachen bereits darüber, dass sich die Engländer in Skurrilität flüchten. Häufig beobachtet man, wie eine normale Figur plötzlich völlig skurril wird, plötzlich durchdreht, und man versteht nicht, weshalb. Bei den Franzosen wiederum läuft es anders, die lassen ihre Figuren halbe Sätze sagen und brechen dann die Konversation ab. Das scheint irgendwie auch mit dem Französischen zusammenzuhängen, ich kenne keine Sprache, in der so viele »Ouis« und »Öhs« und »Nons« zu hören sind wie in der Französischen. Die Franzosen sind sehr klug in der Beurteilung von Menschen, weil sie letztlich wissen, dass die Menschen nicht beurteilbar sind. Ein wunderbares aktuelles Beispiel ist der Film Kindkind, eine vierteilige Miniserie von Bruno Dumont aus dem Jahr 2014, ein Krimi, dessen Handlung plötzlich abbricht. Die Serie spiet in einem nordfranzösischen Küstenstädtchen, es treten ausschließlich Laiendarsteller auf, unglaublich witzig und schräg.
Ilja Bohnet: Der englische Film ist skurril, der französische Film fragmenthaft. Der US- amerikanische Film überzeichnet. Aber hat das amerikanische Kino nicht damit ein echtes Manko: die Unfähigkeit, die Banalität des Alltags abzubilden?
Ulrich Pleitgen: Richtig, bei den Amerikanern herrscht immer das „Bigger than Life“. Das streben sie an, das wollen sie, und das tröstet die Menschen, die sich ihre Filme anschauen. Denn das „Bigger than Life“ tröstet die Menschen. Dementsprechend sieht man im US-amerikanischen Kino die größere Katastrophe, die größere Liebesgeschichte, die größere Schlacht, das geht einfach immer so. Ich halte davon nicht viel. Ich möchte realistische Geschichten sehen, die dürfen sehr künstlerisch sein, aber das „Bigger than Life“ ist mir zu künstlich. Aber es basiert auf einer Verabredung unter den Amerikanern. Das ist im Grunde genommen das „Think Pink“ der US-amerikanischen Gesellschaft und die Umkehrung davon. Die absolute Katastrophe zeichnen oder das Leben rosa machen. Es ist schön, keine Frage, eine runde Liebesgeschichte zu sehen. Aber in der Regel vorhersehbar. Und doch gibt es immer mal wieder Geschichten im US-amerikanischen Kino, beispielsweise Asphalt-Cowboy mit Dustin Hoffmann und Jon Voight aus dem Jahr 1969, oder Leaving Las Vegas mit Nicolas Cage aus dem Jahr 1995, wo es dir kalt den Rücken runterläuft. Kein Happyend. Die Amerikaner machen eben alles. Die Amerikaner haben irgendwie ein tiefsitzendes Vertrauen, was ihre Demokratie anbetrifft, denn sie trauen sich Filme zu machen, in den bestechliche Präsidenten, kriminelle Wirtschaftsführer, korrupte Polizisten, mörderische Krankenschwestern und größenwahnsinnige Militärs auftreten lassen. Sie haben echte Chuzpe, wilde, anarchische Geschichten zu drehen, im Gegensatz zu uns Deutschen, die im Allgemeinen brave Filme drehen, weil bei uns die Achtung, aber auch die Angst zu groß sind, unsere Gesellschaft aufs Korn zu nehmen. Es gibt in Deutschland die angstvolle Sorge, durch solche kritischen, skurrilen und bizarren Geschichten eine gefährliche Staatsverdrossenheit zu erzeugen. Das scheint mir allerdings unbegründet. Der Grund ist aber die Angst, eine ungestüme Natur könnte aus den deutschen Untertanen hervorbrechen.
(Fortsetzung folgt!)