Outtakes aus Pleitgens Biografie – Kunst und Politik (1)

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6. Oktober 2018 von ibohnet

Das eine oder andere hat nicht Eingang in Pleitgens Biografie gefunden. Darunter manche Perle, die ich nun im Rahmen dieser Blogbeiträge nachreiche.

Heute: Kunst und Politik (Teil 1) – Agitprop der ‘60er und ‘70er Jahre – Illusion und Wirklichkeit

Ilja Bohnet: Lass uns über Kunst und Politik sprechen. Als du angefangen hast mit der Schauspielerei, waren die Zeiten politisch sehr aufgeladen. Es herrschte der kalte Krieg.

Ulrich Pleitgen: Es war brutal in den 1960er und 1970er Jahren. Die Fronten waren klar, man wusste, auf welcher Seite man steht. Dafür oder dagegen. Und es wurde verbal und im wörtlichen Sinn scharf geschossen. Heute gehen die Menschen miteinander ganz anders um als in jener Zeit. Der Umgang heutzutage ist – abseits von irgendwelchen idiotischen Hasstiraden im Internet – im Grunde viel humaner geworden. Ich beobachte das auch an den jungen Menschen, an den Jugendlichen. Da sind sehr viele darunter, denen das Bewusstsein von Freiheit ans Fell gewachsen ist, wie mir scheint. Das drückt sich zwar nicht unbedingt in einer übermäßig hohen Wahlbeteiligung aus, viele glauben vielleicht, dass alles in Ordnung sei, man deshalb nicht unbedingt wählen müsse. Das ist vielleicht das Problem, dass es kein besonderes Problembewusstsein dafür gibt, dass Demokratie ständig erarbeitet werden muss. Das Bewusstsein dafür schläft vielleicht im Moment ein bisschen. Das bedeutet aber nicht, dass die Menschen im Grunde nicht sehr liberal oder gar undemokratisch sind. Es gibt lediglich diese fatale Annahme, dass die Demokratie halt da ist und immer da bleibt. Wir wissen doch: ein paar wenige Gesetzesänderungen, und es droht wieder ein Ermächtigungsgesetz.

Ilja Bohnet: Befürchtest du eine solche Entwicklung?

Ulrich Pleitgen: Nein, nicht wirklich. Ich sehe ein anderes Problem. Ich habe den politischen Überblick verloren. Ich weiß nicht mehr, auf welcher Seite ich stehe. Oder ich sollte besser sagen: wo die Seiten hin sind. Das ist das Komische. Ein Gefühl der Unsicherheit, die politische Verortung nicht genau zu kennen, was ich in den Jahren vorher so nicht kannte. Aber bitte nicht falsch verstehen, ich wünsche mir die Zeit des Kalten Krieges nicht zurück, als man sagte: »Den muss man erschießen. Der Hitler hätte den umgebracht.« Oder auch: »Buback, Ponto, Schleyer, der nächste ist ein Bayer.« So haben die Leute über ihren politischen Gegner gesprochen, ob von links oder rechts. Und es hat lange noch angehalten, dass man so sprechen konnte. Heutzutage würde man bei der Mehrheit der Bevölkerung mit solchen Totschieß-Sprüchen einen Aufschrei provozieren. Trotzdem: Ich habe die Übersicht verloren, was links ist und was rechts, oben und unten.

Ilja Bohnet: War man als Schauspieler in Zeiten des Kalten Krieges politischer als heute?

Ulrich Pleitgen: Ich bin mir nicht sicher. Mein Verständnis von politisch sein in der Öffentlichkeit war und ist ohnehin ein anderes. Einen dezidiert politischen Anspruch als Künstler hatte ich nur bei Stücken, die dezidiert politisch waren. Mein künstlerisches Movens war das Rollenspiel, ganz einfach. Das Spielen einer Rolle und das darin Verschwinden, bis man die Person des Schauspielers nicht mehr erkennt, sondern nur noch die Figur, die gespielt wird: das war für mich immer die Hauptsache. Guck dir die Dichtung an, ob Gerhard Hauptmann oder Tschechow oder Goethe. Bei all diesen Dichtern und Schriftstellern und Stückeschreibern gibt es diesen tief empfundenen Humanismus. Und das ist es, was mich interessiert. Das „Links-Sein“, das konnte ich privat ausleben, zusammen mit meinen Freunden. Richtig, wir hatten damals das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, zu den Guten zu gehören. Das spielte schon eine Rolle. Wir sind in Tränen ausgebrochen darüber, dass wir zu den Guten gehören, weil es sentimental macht, wenn man das Gefühl hat, auf der richtigen Seite zu stehen. Auf der Bühne hat das für mich keine Bedeutung gehabt. Auf der Bühne galt für mich nur das humanistische Ideal. Und es gibt meines Erachtens auch keine guten Autoren, die nicht dieselbe Grundmotivation haben. Selbstverständlich war es für mich wichtig, auf der Bühne nicht einzutreten für reaktionären Losungen oder Inhumanität oder Brutalität, außer Brutalität sollte im besten Sinne eine Art Katharsis bei den Zuschauern auslösen. Viele von uns, die Theater machten in den 1960er und 1970er Jahren, als das sogenannte politische Theater auf seinen Höhepunkt zulief, verfolgten dieses humanistische Ideal. Der Versuch wahrhaftig zu sein angesichts der menschlichen Fähigkeiten und Unfähigkeiten, den Blick gerichtet auf kritische gesellschaftliche Zustände.

Ilja Bohnet: Kannst du das erläutern?

Ulrich Pleitgen: Wenn wir zum Beispiel ein Stück über den Krieg spielten, dann wollten wir die prekären Zustände zeigen, die der Krieg verursacht. Aber das allein ist noch keine politische Äußerung, oder doch? Jedenfalls hätte ich nie eine rote Fahne als politische Willensbekundung geschwungen, außer, es wäre die Aktion einer von mir gespielten Figur. Die älteren Schauspieler warfen uns jüngeren trotzdem vor, wir würden auf der Bühne nicht mehr sinnlich sein, sondern nur noch politisches Theater machen. Da sprach aber auch der Neid der Alten auf die Jungen. Die mussten uns einfach schlecht finden.

Ilja Bohnet: Aber die Grundstimmung am Theater war links, oder nicht?

Ulrich Pleitgen: Das stimmt allerdings. Als ich im Schillertheater anfing, stand die schauspielerische Belegschaft komplett links, die Zeiten waren halt so. Ich weiß nicht, was aus mir persönlich geworden wäre, wenn ich meinen Beruf im Jahr 1936 begonnen hätte – ich denke darüber lieber nicht nach. Aber in den 1970er Jahren waren wir alle links, und ich war es selbstverständlich auch, von ganzem Herzen sogar, auch wenn ich als Mitläufer angefangen hatte. Doch auf der Bühne spielt das keine Rolle. Auf der Bühne war nur wichtig, was wir für Kunst hielten. Wir wollten die Realität erkennen und sie darstellen. Und klar: Es ging um Arm und Reich, um Verletzungen und Krieg, um Vietnam. Es ging um die Schuld unserer Eltern und Großeltern im Zweiten Weltkrieg. Das alles wurde auf der Bühne verhackstückt. Wenn das nicht erlaubt ist nach einem derartigen Schweigen der Gesellschaft nach dem Krieg, das sich im Übrigen verstehen lässt – die Leute wollten nichts mehr damit zu tun haben, lieber nicht darüber reden. Aber für uns war es das Verschweigen einer scheußlichen Vergangenheit, darüber mussten wir reden, auch auf der Bühne, gerade auf der Bühne. Es war der Versuch, der Wahrheit, der Wirklichkeit auf die Spur zu kommen. Das kann man eigentlich nicht als links bewerten im Sinne einer politischen Haltung. Die Konservativen zu der Zeit versuchten jedoch das Sprechen über die Schuld in der Vergangenheit weiter zu verhindern, die Geschichte unter der Decke zu halten. Da gab es sehr starke Kräfte, und die wiederum erzeugten Gegenkräfte, zu denen die APO gehörte, und auch das linke Theater gehörten dazu. Diese Bewegung wollte die Gesellschaft aufrütteln, das Feld des Vergessens umpflügen. Das ist im Grunde genommen kein politischer Vorgang, sondern eine Bewusstmachung. Unsere Meinung war: Wir können nicht auf etwas aufbauen, wenn wir nicht unsere Vergangenheit geklärt haben. Es ist ein Missverständnis zu glauben, dass wir Jungen als Revoluzzer auf die Bühne wollten, um ein neues Deutschland zu schaffen. Das ist meiner Meinung nach eine Verteufelung derjenigen, die im Dämmerschlaf verharrten und nicht aufgeweckt werden wollten. Wir aber erlebten die Exilanten und Emigranten, die wieder zurückkamen, wir hatten jüdische Schauspieler am Theater, die uns aus ihrer Geschichte erzählten. Wir hatten plötzlich neue Lehrer an den Schulen, die an demokratischen Prozessen interessiert waren. Das war alles ganz neu, denn die Lehrer, die ich noch zu Beginn meiner Schulzeit erlebt hatte, kamen aus der Nazi-Zeit. Aber ein dezidierter politische Ehrgeiz nach dem Motto: wir treten jetzt in die DKP oder in eine der unzähligen anderen K-Gruppen ein, der war nicht da. Heute spricht man über diese Zeit so, als hätten die Leute Marx und Engels rauf und runter beten konnten. Dabei hat sie niemand gelesen. Ich jedenfalls war an russischer Literatur interessiert, habe mich in der Zeit mit Bulgakow, Tschechow und Tolstoi beschäftigt. Die Schauspielerei stand für mich immer im Mittelpunkt, politisch engagiert habe ich mich immer nur privat. Selbstverständlich war es ein erfreuliches Ergebnis, um nicht zu sagen: Abfallprodukt, wenn man ein Stück spielte, dass auch politisch Haltung zeigte. Aber nur die Stücke von Brecht haben diesen dezidiert politischen Anspruch. Oder vielleicht auch die von Peter Weiss, den wir auch gerne spielten. Aber Peter Weiss war auch schwerer politisch zu verorten als beispielsweise Brecht.

Ilja Bohnet: Der Journalist Rainer Gerlach hat übrigens anlässlich des hundertsten Geburtstages von Peter Weiss im Jahr 2016 geschrieben: »Für linke Sektierer im Westen war er nicht links genug, für ein bürgerliches Publikum immer noch viel zu links. Nur die „Ästhetik des Widerstands“, jenes wortgewaltige Spätwerk, in das Peter Weiss auf so kunstvolle Weise alle Themen seines Lebens eingewoben hat, blieb dem Vergessen entzogen.«

Ulrich Pleitgen: Richtig, Peter Weiss war umstritten. Für mich war aber die Prosa in seinen Texten wichtiger als die darin enthaltene Politik, mir war wichtiger, gutes, sinnliches Theater zu machen. Wenn man das mit aufklärerischen Ideen verbinden konnte, dann war es das Wunderbarste, was es gab. Deshalb war die Zeit am Frankfurter Schauspielhaus in den 1970er Jahren für mich eine sehr glückliche Zeit.

Ilja Bohnet: Aber auch eine politisch verklärte, oder nicht? Ich habe noch Theresa Affolter vor Augen, wie sie in der Schluss-Szene des Stückes „Die Tage der Commune“ als Kommunardin mit gestreckter Faust theatralisch „fällt“und von der Barrikade – für die Zuschauer nicht zu sehen – auf eine weiche Matratze plumpst.

Ulrich Pleitgen: Kann schon sein, aber es ändert nichts an der Großartigkeit des sozialen Experiments der historischen Kommunarden des Jahres 1871, das Brecht mit seinem Stück und wir in eben dieser Aufführung darstellen wollten. Die Geschichte hat den Kommunarden recht gegeben. Sie standen auf der moralisch betrachtet richtigen Seite und waren doch die erbarmungswürdigen Verlierer dieses Experiments. Tausende der Aufständischen wurden erschossenen und auf dem Friedhof Pére Lachaise in Paris verscharrt.

(Fortsetzung folgt)

 

 

 

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