Der gefälschte Galilei
Hinterlasse einen Kommentar1. Januar 2014 von ibohnet
Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.
Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, unlängst wurde bekannt, dass es sich bei dem sensationellen Fund einer Spezialausgabe des „Sidereus Nuncius“ von Galileo Galilei, die angeblich auch originale Tuschezeichnungen Galileis enthalten sollte, um eine komplette Fälschung handelt.
Ilja Bohnet: Ein Paradebeispiel eines Fälschungsskandals, das die typischen Ingredienzien dieser Art von Geschichten enthält.
Nikola Rührmann: Zum Hintergrund – Von dem berühmten Buch Galieis, das vor 403 Jahren in einer Auflage von etwa 550 Büchern publiziert worden war, tauchte vor ein paar Jahren in einem us-amerikanischen Antiquariat besagte Spezialausgabe auf, die nach eingehender Prüfung inklusive umfangreicher materialtechnischer Untersuchungen von einer Expertengruppe mit dem Kunsthistoriker Horst Bredekamp an der Spitze für echt befunden wurde. Bredekamp schrieb im Folgenden eine in den deutschen Feuilletons hymnisch gefeierte Monografie, in der er seine These von der „denkenden Hand“ als bewiesen ansah: Die in dem Buch abgebildeten Mond- und Sonnenzeichnungen, die Galilei bei Beobachtungen durch das Teleskop gewonnen hatte, offenbarten (offenbar), „dass der große Gelehrte als Künstler seine Einsichten gewann, […], dass die zeichnerische Leistung Galileis seine eigentliche Erkenntnisleistung darstellt“ (Achatz von Müller in einer Rezension in „Die Zeit“).
Dieselben Zeitungen, die Bredekamps Offenbarung eben noch in den Himmel gelobt hatten …
„[…] fulminantes neues Buch […] Teil eines Projekts, das der Autor seit zwanzig Jahren mit einer stupenden Produktivität und Imagination vorantreibt. […] Das […] kühnste Projekt einer Renovatio der kunsthistorischen Kompetenz, […], „detailgenaue, nach kunsthistorischen Standards vorgehende Autopsien“, „Bredekamp kennt Zeichnungen und Handschrift Galileis wie kein anderer“, [in dem] rasant geschriebenen Buch analysiert [Bredekamp] eindrucksvoll Galileis Bildstil“, „Horst Bredekamp hat sich mit dieser Schöpfung selbst als ein Künstler erwiesen“, „Bredekamps Galilei-Buch ist der Versuch, gegen traditionelle Wissenschaftstheorie die Welt des Sinnlichen nicht als empirisches Rohmaterial abstrakt-logischen Denkens abzutun, sondern als eigenmächtige Formbestimmung naturwissenschaftlicher Erkenntnis wiederzuentdecken, […], detailreich, umfassend, […] seine Aussagen abgestützt durch ein beeindruckendes Netzwerk von Kooperationen, geradezu betörend illustriert und in jeder Hinsicht auch vom Verlag gut ausgestattet“, „der Kunsthistoriker Bredekamp hat gelernt, dass der Künstler nicht denken kann, ohne Auge und Hand zu bewegen. Jetzt lehrt er uns, dass es dem Wissenschaftler nicht anders ergeht. Bredekamp zeigt uns das Zeichnen als eines der zentralen Medien unserer Weltaneignung“, „diese Darstellung Galileis als Künstler ist wirklich eine erstaunliche und auch in jeder Hinsicht erbauliche Entdeckung, „dieses großartige Buch […] lässt den Leser aus nächster Nähe an dem Denkprozess teilnehmen, den Galilei beim bildlichen Erfassen seiner betrachteten Gegenstände durchmachte und zeichnerisch zum Ausdruck brachte“, „ein Bravourstück kunsthistorischer Methodik: Klug analysiert, fast unbezweifelbar weist er nach, dass hier Galilei eigenhändig zeichnete und seine Mondbilder den Stichen im Sidereus unmittelbar vorausgingen“, usw.
Ilja Bohnet: … Galileo Galilei, der Künstler – der (scheinbare) Triumph der Kunst über die Naturwissenschaft …
Nikola Rührmann: Dieselben Zeitungen, die Bredekamps Offenbarung eben noch in den Himmel gelobt hatten, fielen nun über Bredekamp her, nachdem im „New Yorker“ publik gemacht wurde, dass es sich bei dem sensationellen Fund um eine Fälschung handelt, die mutmaßlich von dem italienischen Antiquar Marino Massimo De Caro in den Antiquitätenhandel gebracht worden worden war:
„Erst Sensation, dann Albtraum: Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp feierte aufgetauchte Zeichnungen als echte Werke von Galileo Galilei. Frühe Warnungen amerikanischer Wissenschaftler schlug er in den Wind. Warum nur?“ Hanno Rauterberg in „Die Zeit“.
Ilja Bohnet: So ist das mit den Medien(leuten), sie hinterfragen (scheinbar) viel und gerne, nur nicht sich selbst.
Nikola Rührmann: Was sind nun die Ingredienzien dieses Fälschungsskandals?
Ilja Bohnet: Da ist der a) offenbar hochbegabte Autodidakt und verkappte Künstler bzw. Wissenschaftler (der Antiquar De Caro), der in der akademischen Szene nicht anerkannt wird und es sich und der Welt beweisen will (und ganz bestimmt auch daran verdienen möchte); b) der geniale Künstler (Galileo Galilei), dessen Schriften, Zeichnungen, Briefe etc. von unschätzbarem monetären Wert sind, aber leider nur in stark beschränktem Umfang vorliegen (weil der Urheber tot ist und logischerweise nichts neues produzieren kann); c) der Kunsthandel (hier ein Antiquariat), der eine große Gewinnmarge sieht; d) der genarrte Experte (der Kunsthistoriker Bredekamp), der in dem „sensationellen“ Fund die Bestätigung seiner Thesen sieht und deshalb mehr als geneigt ist, an die Echtheit des Fundes zu glauben; e) die Medienleute und Feuilletonisten, die in dem Fund begeistert das Primat der Kunst sehen, ohne zu hinterfragen, ob die auf dem Fund basierende Interpretation vielleicht nicht etwas weit hergeholt ist, und die letztlich problemlos in ihren Bewertungen des Falles umschwenken, nachdem sich die Entdeckung als Fake erweist, und den genarrten mit Häme bedecken, als hätten sie es vorher besser gewusst; letztlich f) die unbeteiligte Öffentlichkeit, die sich an dem Sensationsfund ergötzt, mehr noch aber an dem Fälschungsskandal („wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen“).
Aber bei den Journalisten ist durchaus eine gewisse Solidarität mit dem Geschädigten feststellbar; dabei ist Bredekamps Verhalten bei der Aufklärung des Falles meines Erachtens alles andere als vorbildlich (ernstzunehmende Hinweise auf eine Fälschung gibt es spätestens seit August 2012, seine Stellungnahme dazu erfolgte aber erst Ende Dezember 2013, und auch nur, weil erste deutschsprachige Artikel zu dem Fall bereits erschienen waren und damit die Veröffentlichung des Falles in Deutschland nicht mehr zu verhindern war, aber noch zum jetzigen Zeitpunkt geben die Websites zu Bredekamps Veröffentlichungen (bei Amazon, der HU Berlin oder dem Akademie-Verlag) keinen einzigen Hinweis auf den Fälschungsskandal); genausowenig wird Bredekamps Erklärung hinterfragt, dass dieser „genialen Fälschung“ einfach jeder aufsitzen musste.
Nikola Rührmann: Wie erklären sich denn die Experten, dass sie auf eine Fälschung hereingefallen sind?
Ilja Bohnet: „Der Fälscher war zweifellos genial“. „Ein Meisterstück“. „Ein genialer Fälscher“ usw. Das sagt der Betrogene, um zu kaschieren, dass er dem Betrug aufgesessen ist (wer lässt sich schon gerne nachsagen, dass er nicht sorgfältig genug geprüft habe). Nein, von einem genialen Fälscher zu sprechen, ist sicher zu einfach, denn Nick Wilding, ein junger Assistent Professor der Georgia State University in den USA (der nur via Internet (!) auf die Spezialausgabe zugreifen konnte), hatte relativ früh Zweifel an der Echtheit des Fundes. Bereits in einem Artikel in der New York Times am 11. August 2012 wurden seine Mutmaßungen veröffentlicht, dass es sich bei besagter „Sidereus Nuncius“-Ausgabe um eine Fälschung handeln muss und wer mutmaßlich hinter der Fälschung steckt. Wie war Wilding zu diesem Ergebnis gekommen? Er hatte den Bibliotheksstempel geprüft, der sich auf dem Buch befindet, dabei eine auffällige Unstimmigkeit gefunden, er schaute daraufhin in die Inventar-Liste der Bücher der laut Stempel ausgewiesenen italienischen Bibliothek, dort gab es aber keinen Hinweis auf diese Sonderausgabe des Sidereus Nuncius, schließlich fand Wilding noch zwei (!) Kopien der Titelblätter der Sonderausgabe, die in anderen Zusammenhängen (u. a. war eine 2005 bei einer Sotheby’s Auktion) aufgetaucht waren, siehe Library Blog der Georgia State University. Zweifellos war die „Sonderedition“ des Sidereus Nuncius beeindruckend gemacht, aber dieser Fund war letzten Endes aus anderen Gründen von der Expertengruppe als echt befunden worden.
Nikola Rührmann: Aus welchen?
Ilja Bohnet: Weil man zu begeistert davon war. Weil man leidenschaftlich daran geglaubt hatte. Weil der Fund perfekt die Thesen über den „Künstler“ Galilei zu bestätigen schien. Kurz: Weil man befangen war.
Nikola Rührmann: Befangen?
Ilja Bohnet: Richtig, befangen. Als Gutachter darf man von dem Urteil, dass man fällt, in keiner Weise abhängen, in keiner Weise profitieren, man muss komplett unbefangen sein. Profitiert man in irgend einer Form, sei es, dass man Provisionen einstreicht, wie Werner Spies für seine Echtheitszertifikate in der ominösen Beltracci-Affäre, oder dass man die „Entdeckung eines vermeintlich neues Werks“ wissenschaftlich nutzt, wie es (aus seiner Sicht durchaus verständlich) Horst Bredekamp tat, in dem er den Fund einbaute in sein Theoriengebäude von der „denkenden Hand“. Das er dieses Buch schreibt, ist völlig in Ordnung. Er hätte aber nicht gleichzeitig maßgeblich an der Echtheitszertifizierung des Fundes beteiligt sein dürfen (überzeugt von der Echtheit des Fundes veröffentlichte Bredekamp seine kunsthistorische Deutung des Fundes bereits 2007 (‚Galileo der Künstler‚), während die zur Authentizifierung des Fundes (‚Galileo’s O‚) erst 2011 erfolgte). Das ist meiner Meinung nach der Kardinalfehler, der begangen wurde – mangelnder Skeptizismus aufgrund leidenschaftlicher Empathie: Eine kritische Begutachtung kann aber nur von komplett unabhängigen, unbefangenen Experten („Peers Review“) erfolgen, die aus dem Fund kein Kapital schlagen wollen. Nur dann ist sichergestellt, dass der Gutachter nicht blind ist vor Liebe.
Nikola Rührmann: Also die Liebe war mal wieder schuld. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.