Zeitgeistiges und -loses
Hinterlasse einen Kommentar1. Mai 2013 von ibohnet
Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.
Nikola Rührmann: Worin sehen Sie das Dilemma unserer Zeit?
Ilja Bohnet: In gesellschaftspolitischer Hinsicht oder kulturell betrachtet?
Nikola Rührmann: Bleiben wir beim Schreiben.
Ilja Bohnet: Im Grunde wird doch viel zu viel publiziert. Das gilt für die Belletristik ebenso wie für das wissenschaftliche Publizieren. Das wenigste davon hat Relevanz. Das ist das Dilemma unserer Zeit (bezüglich des Schreibens oder des Kunstmachens allgemein). Für den Produzenten wie für den Konsumenten. Zu viel von allem zu oft.
Nikola Rührmann: Worin könnte ein Ausweg bestehen?
Ilja Bohnet: In dem man neue Wege beschreitet.
Nikola Rührmann: Etwa als „Avantgarde“? Wie einst die Beatniks in der US-amerikanischen Literatur am Ende des 2. Weltkriegs.
Ilja Bohnet: Ja, das wäre jedenfalls mein Traum vom Schreiben, herrje.
Nikola Rührmann: Avantgardisten sind Leute, die nicht genau wissen, wo sie hinwollen, aber als erste da sind. Das soll der französische Schriftsteller Romain Gary gesagt haben.
Ilja Bohnet: Vielleicht ist es so. Und vielleicht ist das auch genau mein Problem, verdammt: ich wäre gerne als erster da, aber ich weiß leider nicht, wo genau.
Nikola Rührmann: Das klingt hart. Da kann ich Ihnen nicht helfen.
Ilja Bohnet: Jedenfalls ist mir das bloße Erzählen einer spannenden Crime Story (der bloßen Unterhaltung wegen) zu blöde. Nichts gegen gutgemachte Unterhaltung; es ist verdammt schwer gut zu unterhalten. Das ist eine hohe Kunst, ich mache mich ausdrücklich nicht lustig über gut gemachte Unterhaltung(skunst), aber die gibt es zuhauf. Tausendfach. Millionenfach. Neben eben so viel schlecht gemachter Kunst. Warum dann also auch noch von mir?
Nikola Rührmann: Ja, warum denn um Himmels Willen auch noch von Ihnen?
Ilja Bohnet: Eine in meinen Augen relevante Geschichte muss den Zeitgeist treffen, besser, diesen irgendwie erkennen bzw. beschreiben, noch bevor er von der Allgemeinheit draußen auf der Straße erkannt wird.
Nikola Rührmann: Aber es gibt doch auch zeitlose Themen?
Ilja Bohnet: Genau, ein Roman sollte meiner Ansicht nach nicht nur heute spannend zu lesen sein, sondern auch morgen und übermorgen und über-übermorgen. Er muss also auch zeitloses enthalten, unbedingt.
Nikola Rührmann: Das klingt spannend? Können Sie mir mehr über diesen Ansatz verraten?
Ilja Bohnet: Leider eben nicht.
Nikola Rührmann: Na toll. Dann bleiben wir eben feuilletonistisch. Was ist denn Ihrer Meinung nach Zeitgeistiges, was ist zeitlos?
Ilja Bohnet: Unter den aktuellen Zeitgeist fällt meiner Meinung nach das „politisch gestrandet sein“; im Grunde sind wir alle nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus politisch gestrandet. Hüben wie drüben. Die alten Kategorien von „links“ und „rechts“, von Sozialismus und Kapitalismus funktionieren nicht mehr. Das ist zwar bei den wenigsten angekommen, und schon gar nicht in der politisch eher links-liberal geprägten deutschen Medienlandschaft; aber im Grunde fehlen doch die richtigen Fragen in dieser neuen Situation, anstatt alte Antworten (auf alte Fragen) immer wieder neu zu geben. Das gilt meines Erachtens für die konventionelle Belletristik (und ebenso für die konventionelle Kriminalliteratur) genauso wie für andere kulturpolitische Systeme (wie zum Beispiel die Naturwissenschaften). Im Grunde ist unser Denken noch einer alten Zeitrechnung verhaftet. Merkwürdig visionslos.
Nikola Rührmann: Das klingt irgendwie nach FAZ, Herr Bohnet.
Ilja Bohnet: Ich habe jedenfalls keine neuen Antworten, aber immerhin vielleicht ein paar neue Fragen.
Nikola Rührmann: Welche denn?
Ilja Bohnet: Warum ist unsere innovationsüberspülte Gesellschaft so frei von Visionen? Weder religiösen, noch politischen? Warum gibt es nichts, was über den bloßen Konsumgedanken als Ideal hinausweist? Das ist schon erstaunlich. Ich bin sicher, dass das nicht so bleiben wird.
Nikola Rührmann: Der „politisch Gestrandete“ als Sinnbild des modernen Menschen? Fein. Was fällt Ihrer Ansicht nach noch unter Zeitgeist?
Ilja Bohnet: Die medialen Besonderheiten, die uns umgeben: I-phone, Smart-phone und Si-phone.
Nikola Rührmann: Si-what?
Ilja Bohnet: Die virtuelle, ortsungebundene Verfügbarkeit von Daten. (Scheinbar). Weltweit. Pausenlos. Der Wahnsinn. Wir alle glotzen debil auf dieses Gerät in der Hand. An der Haltestelle. In der Schule. Beim Arbeitstreffen. Bei den Freunden und in der Familie. Unglaublich. Immerzu. Selbst ich. Gerade in diesem Moment.
Nikola Rührmann: Okay, kürzen wir’s deshalb ab: Was ist im Gegensatz dazu Ihrer Meinung nach zeitlos?
Ilja Bohnet: Zeitlos ist die Auseinandersetzung zwischen den Geschlechtern, die Liebe, das Verlieben, das Entlieben, das nicht geliebt werden, das …
Nikola Rührmann: … Liebe machen?
Ilja Bohnet: Das auch. Genauso wie die Vergänglichkeit, das Altern, das Sterben, der Tod …
Nikola Rührmann: Womit wir zu einem unserer Ausgangspunkte dieser Interview-Reihe zurückgekehrt sind, wie wunderbar … dem Kriminalroman und seinen Fundamenten. Vielen Dank für dieses Gespräch, lieber Herr Bohnet.