Krimi-Schreibe-Tipps
Hinterlasse einen Kommentar19. März 2013 von ibohnet
Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.
Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, was muss man beim Krimischreiben beachten?
Ilja Bohnet: Eine sehr gute Frage, für einen Autoren allerdings etwas heikel.
Nikola Rührmann: Inwiefern heikel?
Ilja Bohnet: Weil man als Autor nach Beantwortung dieser Frage kritisch hinterfragen muss, ob das eigene Werk mit der Antwort irgendwie zusammenpasst. Vielleicht verweise ich deshalb hier lieber auf den interessanten Vortrag der Verlegerin Else Laudan, den sie letzte Woche auf der Leipziger Buchmesse gehalten hat.
Nikola Rührmann: Worüber hat sie gesprochen?
Ilja Bohnet: Sie hat aus dem Buch „Das Wort zum Mord: Wie schreibe ich einen Krimi?“ referiert, herausgegeben von ihr und Anja Kemmerzell im Argument Verlag, darin kommen bekannte Krimi-Autorinnen zu Wort.
Nikola Rührmann: Dann danke ich Ihnen für dieses Gespräch …
Ilja Bohnet: Hey, halt! Ein paar zusammenfassende Worte kann ich wohl dazu sagen.
Nikola Rührmann: Nämlich?
Ilja Bohnet: Kenne das Milieu, über das Du schreibst! Bis in den kleinsten Zipfel des Alltags hinein. So waren Elses Worte.
Nikola Rührmann: Also nicht den Thailand-Urlaub vom letzten Sommer zum Hintergrund des eigenen Krimis machen wollen. Denn das kann nicht funktionieren.
Ilja Bohnet: Genau. Und dann der Plot: Finde die richtige Balance zwischen dem Obskuren und dem Offensichtlichen.
Nikola Rührmann: Verstehe ich nicht. Was will Else Laudan damit sagen?
Ilja Bohnet: Ich vermute, sie meint die Gratwanderung zwischen Banalität und Geheimnis , der Wechsel von dem scheinbar Alltäglichen zum unerwarteten Grauen. Zum Beispiel das Zimmer eines Verdächtigen, das die Heldin untersucht. »Ich lasse meinen Blick noch einmal durch das Zimmer kreisen. Irgendetwas stimmt hier nicht. Irgendetwas in diesem Zimmer macht traurig. Ich spüre es, aber ich kann es nicht genau benennen. Da entdecke ich einen Schriftzug auf der oberen Leiste der Schranktür.« Vielleicht so was in der Art. Eigentlich passiert nichts, noch nicht, und trotzdem ist das Unheimliche schon zu erspüren.
Nikola Rührmann: Ja, ich erinnere mich an das Zimmer, aber das ist eine andere Geschichte. Wovon hat Else bei ihrem Vortrag noch gesprochen?
Ilja Bohnet: Was mindestens genauso wichtig ist, sind die die Figuren des Krimis, die „Dramatis Personae“. Man muss alles über sie wissen. Wann sie geboren wurden, welche Eltern sie hatten, wie viele Geschwister und so weiter, welche Ausbildung sie genossen haben und so fort, einfach alles, aber …
Nikola Rührmann: … aber?
Ilja Bohnet: Aber man darf um Gottes Willen nicht alles über sie schreiben.
Nikola Rührmann: Das sehe ich sofort ein, das wäre totlangweilig. Wen interessiert schon der Notendurchschnitt des Mörders bei seinem Abitur vor zwei Jahrzehnten …
Ilja Bohnet: Niemand. Aber der Autor sollte ihn genau kennen, um plausibel zu beschreiben, warum, sagen wir mal, der Mörder ein gespanntes Verhältnis zur elitären Akademie der Wissenschaften hatte, das ihn im Laufe der Geschichte zehn Professoren umbringen lässt (ich übertreibe ein bisschen).
Nikola Rührmann: Warum?
Ilja Bohnet: Sagen wir mal, die Mordlust soll tief versteckt in seinem Lebenslauf begründet liegen, dann muss man als Autor die Details verstehen. So zu Beispiel, dass der Aufnahme-Antrag unseres hier beschriebenen Mörders seinerzeit aufgrund des miesen Notendurchschnitts abschlägig beschieden wurde, und nu‘ rächt er sich eben.
Nikola Rührmann: Was ist mit meinem Notendurchschnitt, lieber Ilja Bohnet? Scherz beiseite, fragen wir lieber nach der Hauptfigur eines guten Kriminalromans. Was ist mit der Hauptfigur?
Ilja Bohnet: Die muss der Autor selbstverständlich perfekt kennen und lieben. Ob sie gut ist oder schlecht. Der Protagonist bildet den Mittelpunkt. Aber genauso wichtig sind die Nebenfiguren, und auch die müssen authentisch sein. Und „last but not least“ selbstverständlich auch die Antagonisten.
Nikola Rührmann: Keine Stereotypen, wie ich vermute.
Ilja Bohnet: Nicht nur keine Stereotypen. Im Grunde müssen die Gegenspieler faszinieren oder Faszinierendes an sich haben. Erst das macht sie spannend und interessant. Der Autor muss auch die Antagonisten lieben.
Nikola Rührmann: Was fehlt noch in der Krimi-Suppe?
Ilja Bohnet: Na, die Sprache. Die Erzählführung, die Erzählperspektive. Es ist ein entscheidender Unterschied, ob ein Vorfall aus der Ich-Form heraus beschrieben wird, oder aus der Perspektive des auktorialen, des allwissenden Erzählers.
Nikola Rührmann: Beispielsweise?
Ilja Bohnet: Wer einen wunderbaren Perspektivwechsel erleben will, dem sei das preisgekrönte Buch von Eugen Ruge „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ans Herz gelegt: Mit minimalen sprachlichen Schwenks verändert dieser Autor die Erzählperspektive, das ist einfach faszinierend, wie er das macht. Er beschreibt in diesem Buch unter anderem die Geburtstagsfeier des kommunistischen Familienpatriarchen am 1. Oktober 1989. Eine Familienfeier mit Honoratioren und einem großen Aufgebot an Verwandten und Bekannten und so weiter. Die Feier findet kurz vor dem Mauerfall statt, der Zusammenbruch der DDR ist schon zu erspüren. Ruge beschreibt diese Szene aus der Perspektive sämtlicher Familienmitglieder immer wieder aufs Neue, aus dem Blickwinkel des jugendlichen Enkels genauso wie aus der Sichtweise der sprachlich isolierten russischen Babuschka.
Nikola Rührmann: Das klingt interessant. Dieser Perspektivwechsel und der davon abhängige Blick auf „die Wahrheit“. Erinnert an den Film Rashomon von Akira Kurosawa.
Ilja Bohnet: Sprache ist Handwerk, hat Else gesagt, und führte als Beispiel Worte an wie „buddeln“, „wühlen“, „graben“: Drei Wörter für denselben Vorgang mit ganz unterschiedlichen Konnotationen: Buddeln tun die Kinder, wühlen die Schweine, graben die Erwachsenen.
Nikola Rührmann: Während Sie Ihre Antwort formulierten kam mir plötzlich die Idee …
Ilja Bohnet: „Während“ bremst, dagegen beschleunigt das Wort „Plötzlich“. Aber man muss als Autor sparsam damit umgehen, sonst grillt man mit Brandbeschleuniger.
Nikola Rührmann: Jetzt habe ich den Fade verloren. Ich wollte sagen …
Ilja Bohnet: Redundanz … Redundanzen sind tödlich. „Der Himmel war blau. Die Wolken hoben sich von dem blauen Himmel ab“ oder so was. Erklärtes nochmals erklären ist schlecht.
Nikola Rührmann: Können Sie das noch mal beschreiben, aber mit anderen Worten.
Ilja Bohnet: Ich glaube, wir danken uns lieber für dieses Gespräch.