Vom großen Sprung nach vorn
Hinterlasse einen Kommentar9. März 2013 von ibohnet
Ilja Bohnet im Interview mit Dr. Nikola Rührmann, Gründerin und Vorsitzende der Stiftung zur Rettung der Welt – eine Stiftung zur Förderung des literarischen Schreibens.
Nikola Rührmann: Lieber Ilja Bohnet, warum schreiben Sie?
Ilja Bohnet: Aber das haben Sie mich doch schon einmal gefragt.
Nikola Rührmann: Da bezog sich die Frage mehr auf die Motivation. Die Frage heute ist allgemeiner gehalten. Sprechen wir über das Schreiben. Oder besser noch, über die Schwierigkeiten und Widrigkeiten beim Schreiben.
Ilja Bohnet: Igitt, die Schreibblockade.
Nikola Rührmann: Kennen Sie die?
Ilja Bohnet: Natürlich, leider. Das Sitzen vor dem berühmten weißen Blatt Papier. Der Füller in der Hand. Kein Wort kommt zustande.
Nikola Rührmann: Sie arbeiten also mit Füller und Papier?
Ilja Bohnet: Das ist doch nur ein Bild.
Nikola Rührmann: Achso. Was macht man bei einer solchen Blockade?
Ilja Bohnet: Der berühmte chinesische Philosoph namens HIN-un-Hel soll mal gesagt haben: „Wenn Du keine gloßen Schlitte machen kannst, dann mache kleine!“ Und viele kleine Schritte ergeben am Ende einen großen. Fatal ist nur, sich gar nicht zu bewegen.
Nikola Rührmann: Gilt das nur für das Schreiben?
Ilja Bohnet: Nein, das gilt für jeden kreativen Schaffensprozess, ob es das Schreiben eines Romans, einer Hausarbeit oder eines wissenschaftlichen Antrags ist, oder das Malen eines Bildes, das Inszenieren eines Theaterstücks oder das Verfassen eines Projektplans in einem Industriebetrieb: Am Anfang sitzt man – direkt oder im übertragenen Sinne – vor dem berühmten weißen Blatt Papier.
Nikola Rührmann: Wie macht man denn kleine Schritte? Klingt wie kleine Brötchen backen.
Ilja Bohnet: Vielleicht ist es das auch ein bisschen. Kleine Schritte sind eben …
Nikola Rührmann: … klein?
Ilja Bohnet: Genau. Man erklimmt mit dem kleinen Schritt nicht sofort den Gipfel, schafft mit dem kleinen Schritt nicht den großen Wurf, wird mit dem einzelnen kleinen Schritt nicht fertig mit der Arbeit, dem angestrebten Schaffensprozess und so weiter. Aber …
Nikola Rührmann: Aber?
Ilja Bohnet: … man kommt dem Gipfel eben ein kleines Stück näher. Und viele kleine Schritte führen am Ende dann doch zum Ziel. Eine zunächst unüberwindlich erscheinende Wegstrecke zur Fertigstellung eines Projekts verliert durch viele kleine Schritte an Bedrohlichkeit, das Licht am Ende des Tunnels wird sichtbar.
Nikola Rührmann: Vom berühmten weißen Blatt Papier zum Licht am Ende des Tunnels in vielen kleinen Tippelschritten. Meinetwegen. Sonst noch was zu beachten?
Ilja Bohnet: „Kleine Schritte machen“ kann auch bedeuten, mit dem narzisstischen Motto zu brechen „Ich schaffe nur Großartiges, und das schlagartig, und wenn nicht, dann eben gar nichts“, ein Motto, das gerne von denen angeführt wird, die nie etwas zu Ende bringen. Nein, „kleine Schritte machen“ bedeutet, sich mühsam und bescheiden auf den Weg zu machen.
Nikola Rührmann: Na, dann wünsche ich Ihnen statt des berühmten großen Sprungs nach vorn infinitesimal viele kleine Schritte. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.